Zwanzig Jahre nach Mauerfall realisiert der Neue Berliner Kunstverein mit dem Künstler Thomas Kilpper ein Kunstprojekt im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS), das erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Weitere Arbeiten des Künstlers werden zeitgleich in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins gezeigt. Thomas Kilpper, geboren in Stuttgart und in Berlin lebend, setzt sich in seinen Bodenschnitten mit deutscher Geschichte auseinander. Seine groß angelegte Intervention auf 1.600 qm bietet eine geschichtliche Rückschau auf verschiedene staatliche Konzepte von Überwachung und Repression – vom Nationalsozialismus bis zur digitalen Gegenwart.
Die geteilte Geschichte Deutschlands, die sich in diesem Gebäude, aber auch in den geschnitzten Motiven im Boden und den Drucken ablesen lässt, ist auch eine des Widerstands gegen Unrechtssysteme.
Buchreihe n.b.k. Ausstellungen Zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, eine Publikation. 144 Seiten mit farbigen Abb., deutsch/englisch, 19,80 EUR (15 EUR ermäßigt)
Standorte
Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.) Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin-Mitte
Dienstag – Sonntag 12-18 Uhr Donnerstag 12-20 Uhr
Ehemaliges Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) Normannenstr. 19, 10365 Berlin-Lichtenberg (gegenüber Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße, Stasi-Museum) Donnerstag – Sonntag 11-19 Uhr
Programm Kunstvermittlung
Donnerstag, 25. Juni 2009, n.b.k. (Chausseestraße 128/129) 19 Uhr Ausstellungsgespräch mit Thomas Kilpper (Künstler) und Marius Babias (Kurator)
Donnerstag, 09. Juli 2009, ehemaliges MfS (Normannenstraße 19) 20 Uhr Konzert – Erste Stufe Haifisch (D) / Victim (U.K.)
Donnerstag, 16. Juli 2009, ehemaliges MfS (Normannenstraße 19) 17 Uhr Besuch Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße (Stasi-Museum). Anschließend Ausstellungsrundgang. Sophie Goltz (Kommunikation / Kunstvermittlung n.b.k.) mit Thomas Kilpper (Künstler)
Samstag, 18. Juli 2009, n.b.k. (Chausseestraße 128/129) 20 Uhr Konzert – Arnold Dreyblatt Ensemble
Ausstellung und Programm werden ermöglicht durch die finanzielle Förderung von:
Wir laden Sie und Ihre Freunde herzlich zur Eröffnung ein.
der Ausstellung am Mittwoch, den 15. April um 19.00 Uhr.
Öffnungszeiten: Di – Fr 15 – 19 Uhr und nach Vereinbarung
Villa Romana / Via Senese 68 / 50124 Florenz / Italie www.villaromana.org
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Im vergangenen Herbst hat der in Berlin lebende und arbeitende Künstler Thomas Klipper das Projekt A Lighthouse für Lampedusa! ins Leben gerufen.
Jährlich versuchen rund 20.000 Menschen, überwiegend Einwanderer aus Afrika, über die Insel Lampedusa nach Europa zu gelangen. Nach Angaben des italienischen Innenministeriums erreichte diese Zahl im Jahr 2008 bis zu 35.000 Menschen. Tausende sterben auf See: Humanitäre Organisationen haben geschätzt, dass fast ein Zehntel der Gesamtzahl der Migranten bei der gefährlichen Überfahrt stirbt. Thomas Klipper plant in Zusammenarbeit mit Architekten, Ingenieuren und Inselbewohnern die Errichtung eines großen Leuchtturm- und Kunstzentrums.
Ein mit einem starken Balken ausgestatteter Leuchtturm könnte denjenigen, die auf See navigieren, wichtige Unterstützung bieten und die Gefahr eines Schiffbruchs verringern. Das Licht würde auch eine wichtige Botschaft an Migranten vermitteln: „Wir sind hier, wir verstecken uns nicht.“ Für die Bewohner von Lampedusa könnte der Leuchtturm zu einem Treffpunkt, Ausstellungsraum und einem Ort für Konferenzen, Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen werden.
Der Bau des Leuchtturms wird nun dank einer breiten lokalen und internationalen Unterstützung möglich sein. Im Winter wurde im Ausstellungsraum „dispari&dispari project“ in Reggio Emilia ein erstes Modell vorgestellt. In Florenz hat Thomas Klipper ein Modell entworfen, das in den urbanen Kontext der Piazza San Pancrazio, direkt neben dem Museo Marino Marini, gestellt wird.
In der Villa Romana werden weitere Arbeiten von Thomas Klipper präsentiert, darunter zwei dokumentarische Videos und einige großformatige Xylographien aus London und Frankfurt.
Thomas Kilpper, Jahrgang 1956, ist bekannt für seine Werke, die sich mit künstlerischen Lesarten spezifischer sozialer und politischer Kontexte befassen. Seine Arbeiten wurden in renommierten Räumen wie der South London Gallery, der Generali Foundation in Wien, der Schirn Kunsthalle, dem Kunstverein in Frankfurt und dem Badischen Kunstverein in Karlsruhe gezeigt. Derzeit bereitet er in Zusammenarbeit mit dem Neuen Berliner Kunstverein eine 800 Quadratmeter große Gravur auf Linoleum vor, die für den Boden des ehemaligen Gebäudes der Staatssicherheit (Stasi) in Ostdeutschland bestimmt ist.
In der Normannenstraße 19 – einem Gebäude des ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit – wird ein überdimensionaler ,Linolschnitt‘ im Fußbodenbelag entstehen; 800 m2 PVC-Bodenbelag bilden dafür das Ausgangsmaterial.
Ich schneide in die vorgefundene Substanz dieses aufgeladenen Ortes, um ihn mir ,anzueignen‘. Es entstehen Bilder aus dem Zusammenhang ,Staatliche Überwachung und Strategien ihr zu begegnen‘. Ich schreibe sie in diesen Ort ein und transformiere damit seine ,Basis‘ – den Boden – in einen Stempel. Ein zeitgeschichtlich umstrittener, verlassener Ort wird neu ‚besetzt‘, wieder belebt und neu definiert.
PVC-flooring – Normannenstraße 19 – Stasi-HQ – Berlin
dispari&dispari project is pleased to invite you, to the opening of the exhibition „A Lighthouse for Lampedusa“. This is the first show in Italy of Berlin artist Thomas Kilpper (born Stuttgart). With this project, the artist reflects on the current phenomenon of immigration focussing on the extraordinary case of Lampedusa. On this island, just 80 nautical miles away from the African Continent, this year more than 30.000 refugees have reached (about 50% more than in 2007) – mostly in heavily overcrowded little boats. For them the shores of Lampedusa became a Synonymon for the dream of a better life in Europe. But often their “journey of hope” turns into a deadly tragedy – help organisations estimate one out of ten die during their dangerous crossing.
„A lighthouse with a maximum strength beam can provide essential orientation at sea and help to reduce the danger to life. Over the last months, Thomas Kilpper developed this idea for a new art project with a double function: in collaboration with architects, engineers and local people he wants to build a lighthouse with an adjacent cultural center on Lampedusa.
A tower and a landmark building, capable of hosting a diverse and transnational programme of communication, negotiation, exhibitions, concerts and other cultural events on its ground floor; a place that attracts not only new visitors to the island but also local people – making Lampedusa not just a location to talk about, but also somewhere to learn from and listen to each other…“
To understand the situation on the ground and to start to develop a network of contacts and relations with local people Kilpper travelled the island. On his second trip a meeting with interested “Lampedusian’s” on this project could be held. With ‘A Lighthouse for Lampedusa’ Kilpper proceeds with his site related and socialy engaged interventions like ‘Al Hissan – The Horse of Jenin’, 2003 in Israel / Palestine and ‘Pigisback’ 2006 in London. At dispari&dispari project ‘A Lighthouse for Lampedusa’ will be presented to a wider audience for the first time – as a sketch for an utopian idea to come true in the near future. A Lighthouse for Lampedusa is an event produced by dispari&dispari project of Reggio Emilia and the artist Thomas Kilpper. Thanks for support and cooperation to: The German Institute for the Foreign Cultural Relations (ifa), the House of Artists Villa Romana in Florence, the Lampedusa and Linosa commune and Radio Delta in Lampedusa. The exhibition is open until 14 February 2009 from Tuesday to Friday from 10.00 – 13.00 and 15.00 – 19.00. Saturday and Sunday by appointment.
For more information, visit: www.dispariedispari.org or write to info(at)dispariedispari.org
Installation views @ dispari&dispari, Reggio Emilia
Nahezu täglich erreichen uns Nachrichten von gestrandeten Flüchtlingen im Süden Europas. Jahr für Jahr versuchen etwa 20 000 afrikanische Migranten über die italienische Insel Lampedusa nach Europa zu kommen. Tausende ertrinken – Hilfsorganisationen schätzen, dass jeder Zehnte bei der gefährlichen Überfahrt stirbt.
Nachhaltige Verbesserungen der Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge sind von größter Bedeutung – doch selbst wenn die reichen Länder bereit sind zu helfen, wird es Jahrzehnte, ja Generationen dauern, bis die Menschen in Verhältnissen leben, die sie nicht mehr dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen.
Solange Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen und das Mittelmeer in ‚Nussschalen’ überqueren in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, müssen wir uns fragen: Was können wir tun?!
Ein Leuchtturm mit einem maximalen Lichtstrahl könnte entscheidende Orientierung auf See geben und helfen, die Lebensgefahr zu verringern.
In den letzten Monaten entwickelte der Berliner Künstler Thomas Kilpper die Idee eines Kunst-Projekts mit doppelter Funktion: in Zusammenarbeit mit Architekten, Ingenieuren und Ortsansässigen will er auf Lampedusa einen Leuchtturm mit angegliedertem Kunstzentrum bauen.
Der Gebäudekomplex wird eine qualitativ hochwertige Architektur darstellen und Raum bieten für vielseitige, transnationale Begegnungen und Gespräche, für Ausstellungen, Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen; er wird ein Ort sein, der die Insel nicht nur für neue Besucher, sondern auch für die Bewohner attraktiver macht – der Lampedusa nicht als einen Schauplatz versteht, über den man redet, sondern wo man voneinander lernt und einander zuhört.
Das Projekt unterstreicht die Notwendigkeit zur Lösung des Flüchtlingsproblems: Es ist unmöglich, das Problem mit Restriktionen oder der Ausrufung des Ausnahmezustands zu lösen. Wir rufen zu einer humanitären und gerechten Immigrations- und Integrationspolitik in Europa auf. Kein Flüchtling ist illegal. Wir lehnen jede Idee ab, eine „Festung Europa“ zu errichten. Der Leuchtturm wird ein selbstbewusstes Signal sein: „Hier sind wir, wir verstecken uns nicht.“
Im Dezember startet die erste Phase des Projekts. Thomas Kilpper wird ein experimentelles Modell des Leuchtturms bauen und im Projektraum dispari&dispari in Reggio Emilia, im Frühjahr 2009 dann in der Villa Romana in Florenz aufstellen, um das Vorhaben dem Publikum zu präsentieren.
Die zweite Phase – die Suche nach Möglichkeiten zur Realisierung des Turms auf Lampedusa beginnt, sobald das Projekt die notwendige lokale und internationale Unterstützung findet.
„Ein Leuchtturm für Lampedusa“ knüpft an die Geschichte prächtiger Leuchtturm-Bauten an, wie beispielsweise jener, der 300 v.u.Z. in Alexandria als eines der Sieben Weltwunder galt. Laßt uns noch einmal ein „Wunder“ der Begrüßung bauen – dieses Mal auf der anderen Seite des Meeres!
Wir die Unterzeichner unterstützen das Projekt! November 2008
NAME: BERUF: Wohnort:
Bitte geben Sie Ihren vollständigen Namen, Beruf und Adresse bzw. Wohnort an und senden Sie diese Informationen zurück an den Sender oder per e-mail an: info[at]villaromana.org, bzw. Postalisch an: Villa Romana Via Senese 68 I – 50124 Firenze
Sie sind herzlich eingeladen, diesen Aufruf an Ihre Freunde und Kollegen weiterzuleiten!
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
dispari&dispari : 0039.3356097304 / info[at]dispariedispari.org Villa Romana: 0039.055221654 / info[at]villaromana.org
Um 16.30 Uhr verlassen Andrea Sassi, die Leiterin des dispari&dispari Projekts, und ich Reggio Emilia und fahren zum Flughafen von Parma.
Wir haben Parma nach Palermo gebucht. Die Lautsprecher rufen „Mr. Andrea Sassi….please come to the luggage-control office…oh oh, ich denke, wir haben ein Problem….- In unserem Gepäck befinden sich eine elektrische und eine Benzinbetriebene Kettensäge…&. Andrea geht dorthin, während mein Handgepäck mehr als intensiv kontrolliert wird. Mein Stativ geht nicht durch; wie naiv bin ich – natürlich ist es eine potentielle Waffe! Es zu meinem Auto zu bringen ist zu spät…. also organisiert ein Polizist freundlicherweise, dass der geschlossene Check-in wieder geöffnet wird und ein weiteres Gepäckticket.
Andrea kommt – er schafft es, den Polizisten sagen zu lassen: „Großzügig und ausnahmsweise halten wir Ihre Kettensäge nicht auf“…..
In Palermo superstress kommt sogar unser Flugzeug 10 Minuten vor dem Zeitplan an, wir haben nur 5 Minuten, da wir zwei verschiedene Flüge gebucht haben und wieder einchecken müssen (Palermo – Lampedusa). Wir entscheiden, dass Andrea direkt zum Check-in geht und nur ich auf unser Gepäck warte. Als er am Check-in-Schalter ankommt, war er bereits geschlossen! Gleichzeitig am Buggage Belt, wenn die ersten Koffer ankommen, merke ich, dass es wirklich schwierig ist, den Koffer eines anderen zu erkennen. Sie sehen alle gleich aus…. aber ich hatte das Glück, die richtige zu ergattern – ein kurzer Blick ins Innere half, es klarzustellen.
Andrea ruft mich an, „Thomas, wo bist du, beeil dich!“…. In der Zwischenzeit ist er zum Büro der Fluggesellschaft gegangen und hat gesagt, dass sie den Check-in-Schalter wieder geöffnet haben… Sie nehmen unser Gepäck mit und wir rennen zum Abflug, passieren die Sicherheitskontrolle und das Boarding sofort. Puh, das war sehr eng.
Jetzt nimmt uns ein kleines Propellerflugzeug mit etwa 30 Passagieren mit. Er fliegt ziemlich nervös im Vergleich zum lethargischen Airbus. Um 22 Uhr erreichen wir Lampedusa. Marias Söhne holen uns am Flughafen ab und bringen uns zu unserer Wohnung. Das gleiche Haus wie bei meinem ersten Aufenthalt – aber ein weiterer Raum war offen und für uns vorbereitet. Es ist anders – diesmal komme ich zurück, alles scheint vertraut und bekannt. Nach einer Pizza gehen wir ins Bett – total müde.
Mittwoch, 19. November Nach einem kurzen Frühstück – Einkaufen und Kaffee – gehen wir ins Rathaus. Ich begrüße Marco, meinen letzten Dolmetscher – zusammen gehen wir ins Büro des Majors, aber er ist nicht da. Er soll um 13 Uhr hier sein…. Also bekommen wir Fotokopien des Aufrufs und der Einladung zu unserem Freitagabend-Meeting über das Leuchtturmprojekt. Aus Berlin – vor einigen Tagen – hatte ich Antonino von Radio Delta angerufen, seitdem hat er dieses Treffen organisiert. Wirklich super! In Edo’s Noleggio mieten wir einen Roller und ein Fahrrad. „Was machst du hier noch mal?“…. Nach einem kleinen Gespräch und der Übergabe des frisch kopierten Aufrufs und der Einladung erzählt uns Edos Frau Michela, dass sie einen Job im Flüchtlingszentrum hat. Sie schlägt vor, uns mit dem Anthropologen, der auch im Zentrum arbeitet, in Kontakt zu bringen. Klingt sehr interessant. Andrea hinterlässt seine Handynummer und wir stimmen zu, in Kontakt zu bleiben. Wir machen eine kleine Tour mit dem Roller – zum Bootsfriedhof, wo seit ich vor sieben Wochen hier war, etwa zwölf neue Boote geliefert wurden.
Boat-Cemetry Lampedusa, 2008
Kontaktaufnahme mit den Mitarbeitern des Depots…. einige erkennen mich… Dann überqueren wir die halbe Insel bis zur Istmo dei Conigli (Insel der Hasen): Wow! Was für ein atemberaubender Strand! Weißer Sand und das klarste und reinste Meerwasser, das ich je gesehen habe.
Istmo dei Conigli (Isle of Rabbits), Lampedusa, October 2008
Um 13 Uhr sind wir wieder im Büro des Majors, aber er ist mit einem weiteren Treffen beschäftigt. Uns wird gesagt, dass wir eine halbe Stunde später wiederkommen sollen, aber wir ziehen es vor, zu warten. Zehn Minuten später verlässt der Major, Bernardino De Rubeis, das Meeting und kommt zu uns, um sich vor uns hinzusetzen.
Andrea erklärt unsere Bitte, die wir bereits zum Ausdruck gebracht haben, dass wir seine schriftliche Genehmigung benötigen, um einige der Flüchtlingsboote zu teilen und mit einem großen Lastwagen nach Reggio zu bringen. Herr De Rubeis ruft den Direktor des Abfalldepots an, mit dem wir uns bereits am Morgen getroffen haben. Er hat keine Einwände gegen unseren Plan und beauftragt seinen Assistenten mit der Erstellung eines Genehmigungsschreibens. Eine halbe Stunde später haben wir es geschafft.
Los geht’s!
Die Vorbereitungen beginnen, der Kauf eines Benzinkanisters, des Benzins selbst, der Handschuhe und wir brauchen Verlängerungskabel für die Elektrowerkzeuge…. Antonino – begleitet von seinem Freund Nicholas – von Radio Delta und Alternativa Giovani kommt ins Mülldepot. Schön, ihn wiederzusehen. Er organisiert die Verlängerungskabel, die wir miteinander befestigen müssen – sonst verlieren sie die Verbindung: Band! Wir sind schlecht organisiert, aber die Umstände sind schwierig. Welches Boot sollen wir nehmen, sollen wir beide am selben arbeiten, sollen wir Dokumentation, Video, Fotos…. machen? Wir wählen einen aus – der noch relativ schön aussieht und in der Nähe des Eingangstores und des Büros liegt, wo wir Strom beziehen. Der Klang von Andreas Motorsäge ist erstaunlich. Es deutet sofort darauf hin, dass Schwerstarbeit im Gange ist.
Wir machen etwa zehn – fünfzehn Schnitte – meist in Richtung gegen die Bretter, um zu vermeiden, dass wir die Nägel treffen.
cutting the refugees‘ boats
Wenn wir wegen der Dunkelheit fertig werden müssen, sind unsere Ergebnisse dürftig. Morgen müssen wir früh am Morgen anfangen und die Schnitte systematischer durchführen. Andrea erhält einen Telefonanruf von Michela, die im Flüchtlingszentrum arbeitet: Morgen um 11 Uhr können wir uns mit dem Direktor des CPT treffen..
20. November
Ich wache um 6.30 Uhr auf (für mich sehr früh), mache ein Obstfrühstück und störe Andrea um 7.30 Uhr. Ich begleite ihn auf einen schnellen Kaffee an die Bar – um 9 Uhr ist alles vorbereitet und die Ketten klappern. Aber heute müssen wir in die andere Richtung gehen, wo die Chance, einen Nagel zu treffen, viel größer ist. Unter den relativ weichen Dielen sind die Balken, die das Gewicht tragen und die Kraft der Wellen absorbieren. Sie bilden den Kern der Bootskonstruktion – und sind aus unglaublich hartem Holz gefertigt. Und hier habe ich die Nägel gemacht. Du kannst nicht vermeiden, da du nicht sehen kannst, wo sie sind. Sofort wird die Kette abgetötet und es entstehen eher Späne und Rauch. Definitiv mein Tag der Ernüchterung. Ich habe das Gefühl, zu versagen. Versandfehler mit Versandsplitting?
Kurz vor 11 Uhr hören wir auf zu schneiden – Andrea und ich – treffen uns kurz mit Michela und Federico x, dem Direktor des Flüchtlingszentrums Lampedusa – vor dem Eingangstor. Als er auftaucht, denke ich zuerst: „Das ist nicht der Direktor des Zentrums…“, aber offensichtlich ist er es. Dreißig, lange Haare, Sport, Freizeitkleidung, schlechte Zähne. Ich möchte einige Fragen ansprechen…. aber er besteht darauf: „Ich kann nicht mit dir reden, da ich keine Genehmigung habe….“, „aber warum treffen wir uns überhaupt, wenn du nicht mit mir reden kannst“, meine Frage stellt dieses Treffen grundsätzlich in Frage, was jeder zu verstehen scheint; Federico ändert seine Einstellung: Er erklärt jetzt, was wir tun müssen: „Schreiben Sie ein Fax mit Ihren persönlichen Daten…. an die Prefettura in Agrigento und bitten Sie um Erlaubnis, das Flüchtlingszentrum zu besuchen und ein Interview mit der Direktion / mir zu führen…“ und notieren Sie die Faxnummer auf einem Blatt Papier und verlassen Sie die Szene schnell danach.
Michela bietet an, dass wir das Fax von der Werkstatt ihres Mannes schicken können. Also fahren wir zu Edos’Noleggio‘ – richten Sie zuerst einen Brief auf Englisch ein, Andrea übersetzt ihn ins Italienische. Eine Stunde später geht das Fax durch – Schweine müssen fliegen, um bis morgen die Erlaubnis zu erhalten. Aber wir haben nichts zu verlieren.
Andrea und ich gehen zurück zu den Schiffen und setzen unsere Arbeit fort – aber wieder sind die Ergebnisse verheerend und frustrierend. Nicht leicht zuzugeben, aber meine Zeit ist zu kurz, meine Mittel zu wenig, um den Plan
from left: Andrea, Antonino and Nicholas
from left: Andrea, Nicholas and Antonino
„Es wäre so toll, wenn du aus diesen Booten einen Turm bauen könntest…. wenn du es jetzt nicht kannst, musst du es später in Lampedusa selbst tun!“ Ich stimme zu und verspreche, es zu einem späteren Zeitpunkt zu versuchen – aber vorerst – innerhalb unseres engen Zeitplans – sind die Boote „stärker“ als wir und unsere Mittel. Dieses Scheitern sieht aus wie eine Metapher für das Flüchtlingsproblem als Ganzes: es ist größer und ernster als erwartet. Durch den direkten und engen Umgang mit den afrikanischen Booten bekomme ich ein Gefühl dafür, wie viel Macht in den Migrationsprozess eingebunden ist.
from authorities damaged refugee boat, Lampedusa harbor, 2008
Für afrikanische Fischer müssen die Boote von großem Wert sein. Sie sind nicht für die Überquerung des Meeres konzipiert – aber sie gehen hinaus zum Fischen einige Meilen vor der Küste, sie scheinen gut zu funktionieren und es lohnt sich.
Andrea ruft die Spedition an, kann aber niemanden erreichen – er hinterlässt eine Nachricht „sorry, aber wir müssen unseren Transport nach Reggio Emilia absagen…“, sie rufen nicht zurück.
Von nun an fotografieren wir die Boote und den gesamten Bootsfriedhof – systematischer. Wenn ich den Turm nicht mit den echten Booten bauen kann, möchte ich die Möglichkeit haben, zumindest Fotos von ihnen auf die eine oder andere Weise zu verwenden. Einen Turm mit einer großformatigen Fotocollage zu bauen?…. es ist völlig offen, wie meine Installation in 2 Wochen gebaut wird und wie sie aussehen wird…..
Am späteren Nachmittag gehen Andrea und Antonino schwimmen – ich bereite meinen Slide-Talk und das Meeting morgen vor…..
Freitag, 21. November
Um 10 Uhr rufe ich die Prefettura in Agrigent an. Erster Versuch: Der Bediener legt auf, als er erfährt, dass ich um Erlaubnis bitte, das Flüchtlingslager in Lampedusa zu besuchen. Zweiter Versuch: Er reagiert nicht und stellt mich nicht zum richtigen Offizier durch, bis Andrea das Telefon übernimmt: „Sie erhalten die offizielle Entscheidung innerhalb von zehn Tagen….“. „Tut mir leid, aber wir verlassen Lampedusa schon nach morgen, am Sonntag“, erklärt Andrea sehr freundlich. Es gibt wenig Hoffnung, eine Genehmigung zu erhalten; der Grund dafür scheint, dass ich kein Journalist bin.
Am Nachmittag holen wir unsere Sachen, Werkzeuge usw….. im Abfalldepot ab.
Am Abend – gegen 18 Uhr – erhält Andrea einen Telefonanruf von der Prefettura in Agrigent! Am Freitagabend erhielt ich nie einen Anruf von Behörden, aber hier auf Sicilly sind sie immer noch bei der Arbeit: Sie sind dabei, die Genehmigung für meinen Besuch im Flüchtlingslager freizugeben! Was für eine Überraschung! Und sie brauchen mein Geburtsdatum und meine Geburtsstadt…. Wowh! Niemand hat so etwas erwartet: Am nächsten Tag werde ich das Lager betreten und besuchen können!
Ich befrage den Direktor des Lagers, ja! – Aber….: Keine Erlaubnis, mit den Migranten zu sprechen oder gar Kontakt aufzunehmen! Das ist langweilig und sehr seltsam. Warum das? …. Es heißt „zu ihrem eigenen Schutz“? Als ob sie sich nicht ausdrücken könnten, wenn sie nicht befragt werden wollen. Irgendwie zeigt das ihren Status: Sie sind inhaftiert und stehen unter staatlicher Aufsicht, wie ein Gefangener.
Das Meeting und mein Vortrag verlaufen gut. Zwölf interessierte Lampedusianer kommen; leider nur Männer – aber die Dolmetscherin, sie ist Englischlehrerin. Ein Filmemacher, zwei Journalisten, Radiomacher, Studenten…. sogar der Pastor kam mit einem afrikanischen Kollegen. Ich zeige Fotos von früheren Projekten und gebe eine kurze Einführung in meine Arbeit – und auch in das Leuchtturmprojekt. Es ist eine sehr schöne und konstruktive Atmosphäre.
talk and discussion at radio delta
Samstag, 22. November
Andrea fährt den Roller und ich – nur auf meinem Fahrrad sitzend – halte seinen rechten Arm, werde gezogen…. was für eine schöne Art sich zu bewegen. Kurz vor 11 Uhr warten wir am Eingangstor des Flüchtlingslagers auf den Direktor und auf den Einlass…. Nach einer Weile ist klar: Andrea kann nicht eintreten, weil wir seinen Namen nicht erwähnt haben, als wir um Erlaubnis per Fax an die Prefettura baten… Wir versuchen, die Beamten zu überzeugen: „Können Sie das nicht ignorieren, Andrea könnte meine Dolmetscherin sein….“, aber sie halten sich an ihre Vorschriften. Nur ich kann reingehen…..
Zuerst sagen die Polizisten: „kein Foto, kein Video…“, aber der Leiter des Lagers, der mein Vorgesetzter ist, interveniert: „Panoramaaufnahmen ja, Porträts nicht“. Er bleibt dicht bei mir, scharf darauf, dass ich nicht über diese „rote Linie“ hinausgehe…. aber je länger wir im Lager sind, desto entspannter wird er.
Schon am Eingangstor spürt man, dass das Lager sehr voll und überfüllt ist. Es ist jetzt kurz vor dem Mittagessen und die Häftlinge warten draußen im Innenhof und stehen für ihr Essen Schlange.
Lampedusa Refugee Camp, November 2008
Francesca, die Dolmetscherin der Lager (sie spricht Arabisch, Französisch, Englisch und Italienisch…), erklärt die Struktur des Lagers. Eine so genannte „Vorabidentifikation“ ist das erste, was die Migranten im Lager durchlaufen müssen. Die meisten von ihnen kommen ohne offizielle Papiere oder Ausweis an, werden nach ihrem Namen, Herkunftsland, Geburtsdatum gefragt und erhalten eine interne Registernummer. Diesem Verfahren folgt ein Gesundheitscheck mit medizinischer Hilfe und Ärzten aus dem Lager. Danach verteilen die Zivilangestellten aus dem Lager den so genannten „Bausatz“. Das „Set“ umfasst alle notwendigen Kleidungsstücke: Jacke, Hose, Hemd, Unterwäsche, Socken, Schuhe…. und eine 5€ Telefonkarte. So können die Migranten ihre Familien oder Freunde für ein oder zwei Minuten anrufen…..
phoning @ Lampedusa Refugee Camp, November 2008
Das Lager Lampedusa ist ein abgeschlossenes Gebiet. Die Migranten dürfen es nicht verlassen. Sie sollen hier nur ein paar Tage bleiben, um Platz für Neuankömmlinge zu schaffen. Aber in Wirklichkeit müssen die meisten Häftlinge für ein paar Wochen, wenn nicht Monate durchhalten, weil die anderen Flüchtlingslager und CPTs in Sizilien und Italien ebenfalls voll sind oder die Regierung nicht bereit ist, die Lampedusa-Migranten aufzunehmen. Deshalb ist das Lager Lampedusa oft stark überfüllt. Das Gleiche gilt jetzt: Im Herrenabteil ist der Hofboden weitestgehend mit Matratzen belegt. Sie sind ohne Decken – einige Häftlinge haben eine provisorische Abdeckung als eine Art „Dach“ aus geklebten Plastiktüten genäht, die am Lager-Metallzaun am Boden ihrer Matratze befestigt sind. Von Afrika nach Europa kommend = rau schlafen – auch im November!
hairdressing in the refugee camp, Lampedusa, women’s compartment
Wir werden nach Zigaretten oder einem Feuerzeug gefragt… sie begrüßen Francesca; sie ist eine der wenigen von der Lagerverwaltung, die sie in ihrer Sprache sprechen und kommunizieren können.
Ein Migrant erzählt von seinen Überquerungen, bei denen drei weitere im Meer ertrunken sind. Zwei in Afrika, als sie zum Boot schwimmen mussten – eine, als sie an den Ufern von Lampedusa ankamen… Aber das ist die einzige kurze Gelegenheit, mit einem der Flüchtlinge zu sprechen, wenn der Inspektor in das Gebäude geht, um die medizinische Abteilung zu überprüfen (ob wir hineingehen können oder ob es Patienten gibt, die sich für unseren Besuch schämen könnten). Francesca, die Dolmetscherin, hilft beim Übersetzen. Ich wünschte mir, dass ich mehr Interviews mit den Einwanderern führen könnte. Aber auf keinen Fall…..
In der medizinischen Abteilung sind mehrere Hausärzte und Hausärzte beschäftigt – aber keine Spezialisten, auch kein Zahnarzt. Die Verwaltung scheint stolz auf die moderne Küche mit ihrem Förderband und der automatischen Produktionslinie zu sein.
Als wir fertig sind, um das Lager und das Interview mit Federico zu sehen, ist der Direktor fällig, ich lerne, dass es nicht stattfinden kann! Er ist beschäftigt. Seltsamerweise war das der Grund, warum sie mir vorschlugen, hierher zu kommen. Okay, versuchen wir es später am Nachmittag.
Mit dem Fahrrad zurück zu unserer Wohnung fühle ich mich irgendwie aufgewühlt von dem, was ich im Lager gesehen habe. Sie leben so verkrampft, warum können sie das Lager nicht verlassen….?
Am Nachmittag rufen wir Federico an, um das Interview zu machen, aber wieder ist er beschäftigt. „Lass es uns morgen machen“, schlägt er vor. Ist er bereit, es überhaupt zu tun?
Um 17 Uhr treffen wir uns im Büro von Radio Delta. Der einzige lokale Radiosender auf der Insel. Es ist klein, aber die Lampedusianer hören es sich an. Antonino macht ein einstündiges Live-Programm auf Sendung mit Andrea und mir über das Leuchtturmprojekt! Angefangen bei Pink Floyds „WALL… wir brauchen keine Ausbildung“, habe ich die Möglichkeit, ihnen zu erzählen, wie ich die Idee entwickelt habe und wie sie in Zukunft umgesetzt werden könnte…. Wir haben viel Spaß im Studio. Andrea übersetzt das, was ich sage, ins Italienische und er spricht aus seiner Perspektive als Galerist. Antonino ist großartig, gut organisiert, hart und schnell in sozialen Angelegenheiten der Insel engagiert, es macht viel Spaß, ihn kennenzulernen. Er will das Projekt auf Lampedusa wirklich vorantreiben: „Warum machst du ein Modell für den Leuchtturm in Reggio Emilia…. du solltest es hier machen, hier ist der Ort, an dem es stehen muss…“, sagte er auf Sendung.
Später gehen wir zusammen zu einem schönen Abendessen. Morgen müssen wir gehen. An vierzehn Tagen eröffnet die Ausstellung in Andreas Galerie!
@ Patrick Heide Contemporary, London 11. September – 11. Oktober 2008.
Die Operation „window“ der RAF (Royal Air Force) markiert den Ausgangspunkt für Thomas Kilppers neue Installationsverkleidung. Während des Zweiten Weltkriegs ließen britische Bomber Millionen von Aluminiumbändern fallen, um sich zu tarnen und die deutsche Luftwaffe zu täuschen und ihre Funkverbindungen zu stören.
Wunderbar schimmernde Wolken aus Aluminiumfolie am Himmel kontrastierten stark mit dem anschließenden Inferno in Dresden, Hamburg oder Stuttgart.
„Danke für das Aluminium“…. – mit einem ironischen Ansatz verteilt Kilpper die Folie auf dem Galerieraum und zeigt an einigen Beispielen, was wir heute damit machen können: das Einwickeln Ihres gebratenen Hähnchens, um es heiß zu halten, das Einwickeln der Sicherungsetiketten in der Garderobe eines Supermarktes, damit sie nicht den Alarm auslösen oder 50 ¤ Notizen fälschen.
Bereits vor 2500 Jahren beschrieb Sun Tsu die „Verkleidung“ als eine wesentliche Methode der Kriegsführung – falsche Spuren zu hinterlassen oder vollständig zu verbergen. Sprühverband, der angeblich von linken Aktivisten in Deutschland benutzt wird, um das Hinterlassen von Fingerabdrücken zu vermeiden. Oder in den letzten Tagen, als sich die kolumbianische Armee unter Verstoß gegen die Vorschriften der Genfer Konventionen als Mitglieder des Roten Kreuzes verkleidete und die Rebellen täuschte, Ingrid Betancourt zu befreien. Kilpper zeichnet und kritzelt auf Pressemitteilungen und Einladungskarten aus Galerien, die der Künstler besucht hat, und zeigt ein Teilprofil, das seine Bewegungen verfolgt – im Gegensatz zu den Bemühungen, sich zu verstecken. Aber sind diese Spuren die relevanten oder eine andere Form der Verkleidung? Und was ist mit der Authentizität von Zeichnungen nach Bridget Riley, Merlin Carpenter, Jim Shaw, Thomas Erdelmeier oder Mike Kelley? Tarnt er sich als Boheme, versaut er sich mit seinen Kollegen? Verkleidet scheint es wenig Wahrheit zu geben.
Flug: Berlin-Mailand-Palermo-Lampedusa In Berlin-Tegel eingecheckt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung gelesen, Lautsprecher schreien: „Letzter Aufruf für Passagier Thomas Kilpper….“ Ich laufe zum Tor, entdecke, dass meine Bordkarte und mein Ausweis fehlen, laufe zurück zum Tisch, an dem ich saß…. Glück für mich: meine Jacke mit all dem Geld, Ausweis und so… ist noch da. Ich bin der letzte Passagier, der in das Flugzeug steigt. Ankunft in Lampedusa gegen 21.30 Uhr – etwa eine Stunde Verspätung: Touristenfotos von der Gangway, …. „kein Foto“ sagt der Offizier – bleiben Sie dabei: kein Blitz mehr, sondern Video: Auf dem Weg zum Ausgang passieren wir ein afrikanisches Flugzeug, an dem etwa vier, fünf Afrikaner gerade vorbeigekommen sind – eine Wache, die neben der Gangway steht. Offensichtlich ein Abschiebeflug.
Das Wetter ist schön, mild und warm. Ich informiere Maria über meine Ankunft, zehn Minuten später sitze ich in ihrem Auto auf dem Weg zu meiner – besser gesagt: ihrer Wohnung, abseits der Via Roma. Es ist sehr zentral, groß und für mich ganz ideal.
Auf eine Pizza – ich begegne einer Trauerprozession, etwa 50-80 Trauernde folgen still einem alten Mercedes-Katafalk, der vor der Kirche neben einem schwarzen Priester hält. Schöne Bilder, schade, dass ich meine Kameras in der Wohnung gelassen habe: Geh nie ohne sie hier raus! Ich frage mich…. warum haben sie einen schwarzen Pfarrer – hier mit den afrikanischen Flüchtlingen….? Ich sollte versuchen, mich mit ihm zu treffen!
Nach dem Mittagessen beim italienischen Fernsehen, einem Vietnamfilm – im Stil von Stanley Kubricks Vollmetalljacke, aber viel schwächer. Eine kleine Gruppe von US-Soldaten entführt eine junge Vietnamesin in den Wald und vergewaltigt sie – nur einer von ihnen widersetzt sich und will ihr helfen; aber er ist zu schwach, um sich gegen seine Kameraden zur Wehr zu setzen. „Opfer des Krieges“ Kanal 4.
In der Nacht – muss morgens gegen 8 Uhr gewesen sein – träumte ich intensiv verrücktes Zeug, meine Schwester überschwemmte völlig unser großes Badezimmer und öffnete die Wasserleitung zur Toilette. Als ich zu unserem Haus kam, wurde alles bewässert, sogar von der Decke der Nachbarn tropfte es……
Die Prozession einer Beerdigung – Vergewaltigung – Überschwemmung…. was für ein Anfang.
30. September Ausschlafen, Einkaufen in der Supermercado, Frühstück. Die Preise sind ziemlich hoch – Summen bis zu 43,60€…. geben eine 50€ Note, werden 10€ zurück, mit einer großzügigen und entschlossenen Geste. So etwas habe ich in Deutschland noch nie erlebt. Inselbewohner….? Regen. Irgendwie desorientiert wandere ich im Zentrum der Stadt herum, beobachte die Straßen, die Häuser und das öffentliche Leben…. suche ein Fahrrad zum Mieten, suche das Rathaus…. frage nach dem Kulturrat… „Antonio Colapinto hat nur den Rat…“ Es scheint, dass ein neuer Kulturrat noch ernannt oder gewählt werden muss….? „Morgen um zehn Uhr ist der Major hier….“. Ich läute die Glocke des Pfarrers, nichts passiert, nicht zu Hause….. Ein Fahrradverleih verlangt 10€ pro Tag…. – obwohl ich einen Roller für 12 angeboten bekommen habe, und ein Paar mit Fahrrädern treffen, die jeden Tag einen Fünfer kosten. Aber dort sind alle Fahrräder ausgeliehen, also warte ich, nehme aber einen Roller für einen Tag und frage den Kerl, ob er mir eine SMS schicken soll, sobald ein Fahrrad verfügbar ist. Scooter ist toll, wirklich schnell, ich suche das Büro von „Alternativa Giovanni ONLUS“ in der Via Grecale 22, finde die Adresse und jemanden in einem Büro im Erdgeschoss in diesem Gebäude und frage ihn nach dieser Gruppe… „Wo sind sie…?“, „Ich weiß nicht, aber nicht hier; ich denke, sie sind irgendwo im Zentrum….“. Als ich das Gebäude verlassen möchte, entdecke ich das Logo der Gruppe im ersten Stock und einen Aufkleber neben der Treppe. Als ich ihn danach fragte…. war er etwas irritiert…., „nun, sie sind im ersten Stock…. (Primero-Piano)…“ – ich weiß nicht, was das war, da er hier jeden Tag arbeitet?
Mit dem Moped – ich erreiche in 15 Minuten das Ende der Insel, vorbei an steinigen Feldern mit wilden Kräutern, die die Luft Oregano riechen lassen. Die Klippen sind massiv und steil zur Nordküste, schönes, klares azurblaues Wasser, ein leerer Steinbruch, Militärradar und Antennen. Der Nieselregen verwandelt sich nun in starken Regen, ich suche etwas Schutz im Steinbruch, wenn der Regen nachlässt, gehe ich zum Moped zurück, große und tiefe Hänge lassen mich langsam fahren, da starker Regen wieder einsetzt, fahre ich einfach in einen offenen Privatgrund mit Garage. Nach etwa 15-20 Minuten setze ich meinen Rückweg fort…. völlig nass und gewässert.
Model for the Lampedusa Lighthouse with Cultural Centre Steel Netting Mesh, Wire, Paper, ca. 180 x 50 x 60 cm, January 2008,
01. Oktober
Der Tag des Wartens. Im Rathaus (municipio) – 2. Stock, hier sind die Büros des Bürgermeisters und der Stadträte. Die Leute gehen einfach rein und raus, keine Warteschlangen oder ähnliches…. Mir wird gesagt, ich solle nur warten, was ich geduldig für etwa 90 Minuten mache. Irgendwie interessant, hier zu sein und zuzusehen. Es erinnert mich an das Jeniner Rathaus – aber der große Unterschied: Dort hatten ich meine Projektpartner vom Goethe und einen lokalen Späher an meiner Seite. Aber die Art und Weise, wie sich die Menschen innerhalb des Rathauses verhalten und bewegen, um mit den großen oder anderen Beamten Kontakt aufzunehmen, ist ziemlich ähnlich. Es scheint, dass alles mit subjektiver Beziehung zu tun hat. Nach 90 Minuten führte mich ein Mitarbeiter der Gemeinde zu Marco Bartolo – einem Mitarbeiter im ersten Stock – der Englisch spricht und zum Übersetzen kommen soll. Zuerst ist er überhaupt nicht glücklich darüber, da er so viel zu tun hätte. Aber nach einer Weile im Gespräch mit mir – er wird ganz offen und freundlich. Während er auf einen älteren, etwa 70 Jahre alten, geordneten Mann wartet, der sich im 2. Stock aufhält, sich so verhält, als ob er das Sagen hätte,… neugierig, worum es mir geht… Ich zeige ihm und den Umstehenden meinen Projektvorschlag, (den ich inzwischen von Andrea Sassi erhalten und im einzigen öffentlichen Internet-Point auf der Insel ausgedruckt habe), wird er ganz offen negativ: „Wir haben bereits einen Leuchtturm“, „der Ihr Arbeitgeber oder Auftraggeber ist, Sie müssen ihn hier vorstellen und ein konkretes Antragsschreiben schreiben….“, das mich drängt, das Projekt zu verteidigen: „Natürlich hast du einen Leuchtturm… aber es ist kein Kunstwerk – und ich bin der Künstler und als solcher bin ich mein eigener Arbeitgeber und Chef – wie Michelangelo es war, als er seinen David machte….“. Er versucht, die Beschäftigten – auf Italienisch – davon zu überzeugen, dass sie nicht auf mich hören sollten, es wäre Unsinn und veraltet – offensichtlich in dem Glauben, dass ich es nicht verstehen würde. Später erfahre ich, dass er Botschafter war und heute in Teilzeit in Lampedusa lebt. Marco sagt offen: „Er ist ein….“ – er wird wissen, warum. Nach fast 2 Stunden kommt eine hochhackige, wackelige Schönheit und lässt es mich wissen: „Morgen um 10 Uhr wird der Major hier sein, komm dann noch einmal….“
Jetzt möchte ich den Bootsfriedhof finden, von dem der Künstler Marco Poloni erzählt hat, als wir uns in Berlin trafen. Leicht zu finden. Es sieht ziemlich surreal und beeindruckend aus – ein hellblauer Punkt in der Mitte der Felder.
Tatsächlich gibt es zwei Bootsdepots, eine neben der Hauptstraße und eine weitere etwa 300 Meter weiter unten im Tal, die Deponie für kommunale Abfälle, für Autos, Kühlschränke, Sofas… und die Boote der Einwanderer. Teilweise gestapelt wie Sardinen in einer Box, teilweise kreuz und quer gestapelt – sie schienen mit der gleichen Farbe bemalt zu sein, da sie fast einen identischen hellen Blauton haben, die meisten von ihnen haben arabische Namen am Bug. Das ist das Material für die Skulptur – zumindest für das Modell in Reggio Emilia und Florenz. Sollte möglich sein, einige davon zu bekommen, da das Zerkleinern und Entfernen für die Gemeinde nur Geld kostet. Die bisher wichtigste Entdeckung auf der Insel. Von nun an scheint die Idee, Holz zu kaufen und das Modell damit zu bauen, nicht mehr zu überzeugen. Wie bekommen und transportieren wir sie? Wird der Versand teuer sein….? Ich muss die Boote, die auf einen Lastwagen passen (braucht einen Ladekran) – oder wäre es besser, sie auf See nach La Spezia zu bringen. Vergessen, nach der Telefonnummer des Entsorgungsdepots zu fragen…..
Weiter…. zum Leuchtturm am nördlichen Ende der Insel. Er wird militärisch genutzt (Typenschild am Tor), der Turm ist etwa 12-15 Meter hoch und fragt sich, wie weit man ihn sehen kann? Die Klippen sind etwa 30 Meter tief, wenn nicht sogar mehr, dann ist es eine Postkartenidylle. Neben dem Turm befindet sich eine Sternwarte für die Klimaforschung.
Auf dem Rückweg in die Stadt komme ich vorbei und halte an „Alternativa Giovanni“, hinterlasse eine Notiz mit meiner Telefonnummer an der Tür.
Gib mein schönes Moped zurück und tausche es gegen ein lausiges Mountainbike aus, rasselnd, wackelig, die Gänge funktionieren nicht, also muss ich zurückgehen und versuchen, es mit der Mechanik zu verbessern…..
Die einzige Galerie in Lampedusa entdecken – „LMP Art Gallery“…. inkrementelle kitschige Prints, aber auch schöne alte Schwarz-Weiß-Fotos aus Lampedusa. Ein Foto mit dem Mimmo Paladinos Lampedusa-Flüchtlingsdenkmal „Porta di Europa“ auf dem Display lässt mich fragen, ob er Kontakt zu den Menschen hat, die das Denkmal unterstützt haben.
Er gibt mir die Telefonnummer von Giovanni Fragapane, einem lokalen Schriftsteller und Künstler. Ihn anzurufen, verwandelt sich eher in eine erstickende Wortfindung als in ein Gespräch…. aber zumindest schaffen wir es, um 15 Uhr einen Termin in seinem Haus zu vereinbaren. Via Roma 133, weniger als 100 Meter von meiner Wohnung entfernt…. mit unseren Handys kommunizieren wir über Satelliten über eine Entfernung von ca. 10.000 Meilen…..
Auf dem Weg nach Hause von der Mittagspause in einem netten Restaurant stoße ich auf eine wunderbare öffentliche Musik- und Tanzparty – sweltry tear jerkers auf der Piazza Brignone.
Machen Sie einige Videos und Aufnahmen. Das dramatische Migrationsproblem als Hintergrund für meine Reise komme ich in genau dieser Gruppe an. Ich habe noch nie einen einzigen Flüchtling gesehen, keinen – sie sind ein unsichtbares Phantom. Wo sind sie? Nach meinen ersten Informationen, das Gefangenenlager würde sich neben dem Flughafen befinden, mache ich dort einen Rang und entdecke eine Baustelle mit vielen Überwachungskameras. Es könnte Teil des Depots sein.
10. Oktober
Der Major ist anwesend, hört nur drei Sätze, um von seinem Stuhl aufzuspringen „…che bello…. un progetto d’arte… un faro con centro cultura… d‘ architetto Renzo Piano…“, der in den Vorraum eilt und das Thema an Herrn Gianni Sparma, Stadtrat für Tourismus, Verkehr, Sport und Spektakel, übergibt – da sie eigentlich keine für kulturelle Angelegenheiten haben. Toll, Marco übersetzt. Herr Sparma ist sehr formell, „wir brauchen eine genaue Beschreibung und Anwendung dessen, was Sie wollen….“, „…In dieser Phase brauchen wir von Ihnen nur die Erlaubnis, etwa vier, fünf Boote aus der kommunalen Mülldeponie zu nehmen, um mein Modell auf den Ausstellungen in Reggio Emilia und Florenz zu bauen. Auf die Bitte, dies vor meiner Kamera zu wiederholen, wird er für eine Sekunde sympathisch, als er schüchtern lächelt, offensichtlich irritiert – „Soll ich mich geschmeichelt fühlen? oder….“. Hintergrund während des Interviews sind schreckliche propandistische Illustrationen. Sie erinnern mich wirklich an den „Stil“ des Dritten Reiches – sie sind die Deckblätter der Jahresberichte 2006 und 2007 der „Guardia di Finanza“. Schrecklich, aber es zeigt deutlich, wo wir sind. Scharf. Nach dem Meeting schreibe ich den geforderten Brief und schicke ihn (auf Englisch) an Andrea zur Übersetzung…. wäre toll, ihn am nächsten Morgen Herrn Sparma zu präsentieren. Um 15 Uhr treffe ich Giovanni Fragapane. Sehr nett und sympathisch – Kommunikation auf Italienisch mit einigen französischen und englischen Nuggets – ziemlich schwierig – aber einfacher als am Telefon, da wir unsere Gesten beobachten können. Er spricht langsam und artikuliert, versucht, mich zu verstehen. Ihm gefällt die Idee mit dem Leuchtturm, aber offensichtlich nicht die Benutzung der Flüchtlingsboote. Das würde einige hygienische und hygienische Probleme verursachen – die Reinheit des Projekts würde darunter leiden – verstehe ich gut? warum das? was meint er wirklich? Ich bin ein wenig verwirrt und denke definitiv anders darüber. Wir beobachten den Straßenatlas von Sicilly und bekommen nützliche Tipps und Telefonnummern für meine Reise dorthin. Definitiv besser mit dem Flugzeug nach Palermo (einige Tage auf Sizilien verbringen….) als mit der Fähre nach Porto Empedocle, da bei schlechtem Wetter das Boot nicht läuft (ich verpasse mein Flugzeug von Palermo nach Berlin am 8. Oktober….). Schönes Treffen – aber der Versuch, mit einem Anhänger des Mimmo Paladinos Monument in Kontakt zu treten….: auf keinen Fall. (Ich weiß immer noch nicht, wie diese Skulptur entwickelt und installiert wurde, aber es muss eine Gruppe von Unterstützern gegeben haben, es kann nicht nur die Initiative des Künstlers gewesen sein. Der „Appello“ ist gespickt mit berühmten Italienern. Nimm mein Fahrrad und radle zum Büro der’Alternative Giovani‘, schau nach, ob jemand da ist…. – Glücklicherweise treffe ich diesmal Giacomo, der meine Notiz vor der Tür bestätigt hat, er ruft seinen Freund zu sich, während er Englisch spricht. Antonino kommt 15 Minuten später und ich erzähle ihnen die Idee – was sie sehr schätzen. Sie scheinen wirklich begeistert zu sein und wollen mehr Arbeit sehen – also schalten wir ihren Computer ein und surfen auf meiner Website…. Giacomo: „Verrückter Künstler… – …utopisch…“. Das klingt für mich nicht schlecht. Giacomo muss für seinen Job in einem Hotel gehen – also gehen wir nicht ohne das Versprechen, uns bald wieder zu treffen und in Kontakt zu bleiben. Nette Jungs, ziemlich jung – ich schätze 18, 20 etwas…. aber nicht viel älter? Ich würde gerne mit ihnen zusammenarbeiten. Wo genau ist der CPT? – Giacomo hat einen Kugelschreiber auf der Karte angebracht. Aber da es ziemlich falsch war, dauerte meine Suche danach etwa eine halbe Stunde. Tatsächlich ist es versteckt – sie haben es am Ende eines Tales platziert. Am dunklen Himmel verriet ein extrem helles Licht am Ende der Straße es. Kurz vor 20 Uhr am Eingangstor angekommen – drei Männer sitzen in ihrem Auto, der Motor läuft…. Ich versuche, ein paar Sekunden zu gewinnen und zum Pinkeln zur Seite zu gehen, kann mich aber nicht wirklich verstecken und warten, es gibt nur ein paar geparkte Autos und sie haben mich bereits gesehen…., „Ich wette, sie sind Wachen, die auf einen Kollegen warten“ – mein Gedanke wird schneller bestätigt als geboren…., natürlich können sie meine Kamera sehen… „Du darfst keine Aufnahmen machen, es ist ein militärisches Objekt – man muss um Erlaubnis auf der Polizeistation bitten, ja…. sogar von außen“, ließ ich meine Kamera laufen, die Linse demonstrativ auf den Boden gerichtet – ich hoffe, dass unser Wortaustausch aufgezeichnet wird und dass der Ton nutzbar ist. Aber noch keine Bilder, ich brauche ein paar Ideen dazu! Kaufen Sie einen (Teufels-?) Fisch und einen Tintenfisch im nahegelegenen Hafen – Kapern, Oliven, Zitrone und Origan – gute Küche, zeichnen Sie mit der Tinte des Tintenfisches ein kleines Blatt – „arme Tintenfisch“, morgen wird der andere Teufel gegrillt. Schmeckt super, ich liebe Calamares.
3. Oktober
Um 10 Uhr am unfreundlichen L’EDICOLA – Kiosk, dem einzigen Internet-Point hier: Andrea hat seine Übersetzung geschickt – super! – wir sprechen am Telefon: sein Vorschlag, eine Leitung vorerst abzubrechen (der Leuchtturm soll helfen, das Risiko während der gefährlichen Überfahrt zu minimieren) und dies bei der Genehmigung des Projekts mitzubringen…. ist in Ordnung, denn wir brauchen die Gemeinde…. das Projekt kann nicht ohne weitergehen – und es wird von Lega Norte betrieben!
Bringen Sie meinen Brief an Herrn Sparma, kritisiert er den teilweise allgemeinen Charakter – ich weise darauf hin: Nicht alles kann in dieser frühen Phase des Projekts abgeschlossen werden, sondern dass unser Antrag auf Genehmigung von 4,5 Wracks genau formuliert ist. „Wer wird das entscheiden?“
„Wahrscheinlich die Präfetura di Agrigento – da sie die übergeordnete Behörde ist….“ – „Sie können sich nicht selbstständig über Ihre lokale Deponie entscheiden….?“.
Klingt nach desillusionierender Verwaltungs-Gaga. „Wie lange wird es dauern, bis Sie eine Entscheidung treffen….“ – „mindestens einen Monat…“, aha, sehe ich (wie ähnlich die Fälle aussehen, Frankfurter Gefängnis, Frankfurter Sparkasse 1822, Queen Mary College, Deutsche Bahn mit der Stasi-Hauptverwaltung… – habe ich etwas falsch gemacht?) – er stempelt und registriert unseren Brief: „PROT.N: 12297, RICEVUTA 3.10.08.“ Assoluto ufficiale – absolut offiziell.
Noch einmal zum Bootsfriedhof und Mülldepot radeln, mit dem Mann am Tor reden, ihn irgendwie vorbereiten, und es wäre gut gewesen, seine Telefonnummer zu haben…. „hier haben wir nicht“… „und was ist mit deinem Handy?…“, seine Nummer nicht verstehen. Verlasse die Szene und am Ende des Geländes, wo der Zaun eine Lücke hat, schleiche ich mich hinein – nehme eine Diele mit teilweise arabischen Schildern heraus.
Es ragt aus meinem Rucksack heraus, also beschließe ich, es in der Nähe unter einem kleinen Baum abzulegen. Ich möchte keine Aufmerksamkeit erregen, da ich versuchen werde, mich der Haftanstalt zu nähern. Diesmal vom anderen Ende aus.
Vorbei an der Müllhalde und der Straße folgend, die bald zu einem steinigen Weg wird – etwa fünfhundert Meter später führt sie in die Straße, die Sie zum Eingangstor des Gefängnisses führt…. Die Menschen und ihre ehemaligen Boote sind nicht weit voneinander entfernt. Durch Zufall?
Ich möchte dem CPT nahe kommen und versuchen, mit den Häftlingen zu sprechen, wie geht es Ihnen, wie war Ihre Überfahrt, wie lange hat es gedauert, was erwarten Sie in Ihrem Fall, Abschiebung oder werden Sie Zugang nach Europa und den Status eines Flüchtlings erhalten….?
Ich versuche, mich dem Gelände von Süden her zu nähern, man muss den richtigen Zugang finden, mit öffentlichen Wegen, die nicht in Sackgassen enden…. Schließlich schaffe ich es, bis auf 300.200 Meter heranzukommen. Bin ich verrückt? Gerade kommt ein tief fliegender Hubschrauber (in ca. 100m Höhe); direkt über mir! Zum Teufel, es ist das erste Mal, dass ich einen Hubschrauber in Lampedusa höre und sehe. (Erinnert mich an 1988, als ein Polizeihubschrauber erschien, nachdem ich mich in den Wald geschlichen habe…. und deutlich gemacht habe, dass eine Beobachtung im Gange ist).
Ich hatte nicht erwartet, dass Soldaten die Anlage von außen bewachen. Als ich einen Jeep entdeckte, der auf der Hügelspitze neben dem Weg stand, sah ich genau hin – nach einem ersten Gedanken könnte es sich um einen dieser Autowracks handeln, die mitten im Nirgendwo verrotten… – Ich entdecke wirklich eine Gruppe von drei Soldaten, die unter einem Tarnnetz auf dem Feld plaudern, etwa 20 Meter von ihrem Jeep entfernt. Sie schienen sehr entspannt zu sein, keine Ahnung, ob sie mich gesehen haben – ich schätze, sie müssen es getan haben, es ist nichts hier, wo man sich verstecken kann…. und nicht so viele Leute machen ihren Spaziergang genau hier…. Machen Sie ein paar Aufnahmen. Haben Sie nicht den Mut, direkt zu den Soldaten zu gehen…. mit ihnen zu sprechen, nach ihrem Job zu fragen und zu sehen, wie sie reagieren. Ich versuche, jeden direkten Kontakt mit ihnen zu vermeiden.
4. Oktober
Morgens radle ich zum Flughafen, bis jetzt habe ich kein Rückflugticket, ich stehe nur auf der Warteliste für den Flug morgen früh…. Wowh, es funktioniert… Ich habe es nicht erwartet, ich habe das Ticket nach Palermo morgen früh um 6.50 Uhr bekommen! Super. Aber das bedeutet, es ist mein letzter Tag in Lampedusa. Ich bat den Kerl am Flughafen, Maria anzurufen und zu erklären, dass ich sie in meiner Wohnung treffen möchte – checken Sie aus – da ich früher abreisen muss…. Einkaufen (Wasser für heute und die Reise), SMS an Antonino, um sich zu treffen und zu fragen, ob er eine Idee hat, wie er die Medicines sans Frontiers kontaktieren kann – ein roter Opel Corsa mit MSF-Aufkleber erinnerte mich neulich an die Tatsache, dass sie hier arbeiten…. (hätte eine Notiz unter dem Wischer hinterlassen sollen!) – etwa 2 Stunden später hat er die Telefonnummer von Marinella zurückgeschickt. Sie arbeitet mit den Medikamenten ohne Grenzen. Ich rufe sie an – und hinterlasse eine Nachricht auf ihrem Briefkasten: Maria (am Telefon sagte sie 20€ pro Nacht – sechs Nächte / sie sagt sieben Tage… Ich gebe ihr 150€ – zuerst schien sie nicht zufrieden zu sein, aber nach einer Minute wurde sie sehr glücklich und freundlich. Ich schlage vor, im Bett zu bleiben, anstatt mich um 5.30 Uhr zum Flughafen zu fahren…. kein Problem zu Fuß….. Versuchen Sie, sich mit dem Reverend zu treffen – zweimal ist er nicht da, das dritte Mal ist er da und ich kann mit ihm reden – Videoaufnahmen. Vincent M Wagala, vor fünf Jahren kam er aus Tansania – er ist positiv über die Idee des Leuchtturms und sieht einen Unterschied zu sensationellen Journalisten, die nie darüber nachdenken, was sie selbst tun könnten…. aber seine Einstellung zu den Behörden, einschließlich des CPT, lässt mich fragen: Die Zusammenarbeit mit dem CPT wäre in Ordnung, er wird angerufen, wenn einer der Häftlinge ihn sehen will, er glaubt, dass die Umstände im Gefängnis nicht schlecht sind, da er keine Beschwerden hört, die meisten der Häftlinge sollten ziemlich schnell freigelassen werden, da sich die Gesichter ständig ändern….. Ich denke, die Kirche hat eine kluge Arbeit geleistet, um einen schwarzen Pfarrer an diesen sehr heißen Punkt zu bringen – das afrikanische Tor zu Europa. Ich möchte etwas Filmmaterial vom Eingangstor des CPTs bekommen; diesmal beschließe ich, einfach in Richtung Tor zu radeln, die Kamera einzuschalten, nicht anzuhalten, sondern mich ständig zu bewegen…. Wieder sind einige Offiziere draußen, gerade dabei, das Gefängnis zu verlassen und auf ihr Auto oder Moped zu steigen… Ich mache weiter – fünf Meter vor dem Tor mache ich eine Kehrtwende, indem ich bergab rolle. Jemand pfeift, ein Moped nähert sich mir, – ich schalte die Kamera aus – ein Junge, 20 etwas, fährt neben mich und lässt mich verstehen „der Polizist will mit dir reden…. bitte kehren Sie zum CPT zurück….“, „warum?…..“.“, „weil sie mit dir reden wollen…“, „okay….“ und so tun, als würde ich gehorchen, drehe ich mich wieder um – der Typ freut sich, er beschleunigt und fährt weiter -, so dass ich meine Flucht fortsetze und die Straße sofort verlasse, nachdem er verschwunden ist. Ich bin jetzt auf dem Weg zur Müllhalde…. Ich erwarte, dass sie sich entfalten und nach mir suchen – ich folge diesem Weg beharrlich, – vorbei an einer Baustelle, die wie ein Zuhause für Hunde aussieht…. mit einem Dutzend Hundepfund. Was planen sie hier? – und fährt wieder an der Müllhalde vorbei. Unter einem Baum abseits der Straße überprüfe ich mein Material, fast unbrauchbar, überhaupt nichts Brillantes. Schade, dass ich die Kamera ausgeschaltet habe, als das Moped kam…. der Ton – die Worte des Kerls wären lustig genug gewesen. Jemand hat meinen Handy-Ring kurz klingeln lassen – wie an meine Tür klopfen – es ist Marinella von MSF – der zurückruft, ist, meine Tür zu öffnen…. Ich kann mit Saverijo, einem Freund von ihr, sprechen und erklären, warum ich mit ihr in Kontakt treten möchte – super: Wir arrangieren ein Treffen in einer halben Stunde. Die Adresse ist gegenüber von Alternativo Giovanni – also muss ich nicht die Straße durchsuchen – wir treffen uns in ihrem Privathaus – ich weiß nicht, ob sie hier in Lampedusa ein Büro haben…. Sehr nette Leute, Marinella und Saverijo sind Ärzte und Louisa ist Krankenschwester. Meine Idee, einen starken Lichtstrahl als Richtlinie zu nehmen und so weit wie möglich die Gefahr der Überquerung zu reduzieren, wird sehr geschätzt. „Die schwersten und sogar tödlichsten Unfälle passieren genau dann, wenn sie die Orientierung verloren haben – zumindest nachts könnte dies also durchaus Orientierung geben und helfen, die Gefahr zu verringern….“ Sie müssen es wissen – MSF führt eine allgemeine primärmedizinische Versorgung und Erste Hilfe für die Flüchtlinge durch…. Sie stehen in Kontakt und können mit ihnen sprechen. Ich wünschte, sie würden das vor meiner Kamera wiederholen…. aber sie brauchen die Genehmigung ihres Hauptsitzes in Rom. Ich biete an, kein Material zu verwenden, es sei denn, es wird das „Okay“ angegeben…. aber das tun sie nicht. Es ist eine Frage des Vertrauens – schlechte Erfahrungen vorher? Ich sehe es nicht als eine persönliche Angelegenheit an, da sie mich 20 Minuten lang „kennen“….. Ich kann mir vorstellen, dass die Organisation nicht sehr daran interessiert ist, sich in dieser frühen Phase in das Projekt einzubringen. Sie müssen vertrauenswürdig bleiben, damit die Küstenwache und die Grenzpolizei sie weiterhin anrufen. Wenn sie ihre Beziehung gefährden würden und riskieren würden, nicht mehr angerufen zu werden…. könnten sie den Job kündigen. Das darf nicht passieren, denn ihre Arbeit ist für die Migranten viel zu wichtig. …Erste Hilfe in Europa im wahrsten Sinne des Wortes. MSF hat ein Abkommen mit der Küstengua.
5. Oktober, Lampedusa
Ich wache kurz vor 5 Uhr auf – vor dem Wecker klingelt. Ein Espresso hilft mir, richtig aufzuwachen. Als ich das Haus verlasse, ist es noch dunkel; gruselige Stille, nur Binmen und einige Katzen und Hunde sind auf den Straßen. Mein Weg zum Flughafen ist wie der Weg zu meinem S-Bahnhof in Berlin. Das Flughafen-Terminal ist noch geschlossen, mit einigen anderen Passagieren warte ich schläfrig auf den Metallbänken vor dem Gebäude, sie erinnern mich an Wolfgang Breuers Bank vor unserem Haus…. Das Personal kommt und öffnet die Türen. Im Inneren des Flughafens sind fast alle Wände mit Motiven von der Insel verziert, entweder gerahmte Fotos oder sogar einige bemalte Wandmalereien – wie eine wunderschöne Wand hinter dem Check-in-Schalter – wo unten unsere Koffer in einer Katzenklappe wie einem schwarzen Loch auf dem Gepäckband verschwinden…..
Über den Wolken kurz nach dem Start erstrahlt der Ätna im Morgenlicht. Warum gehst du nicht dorthin? Ich habe drei Tage Zeit, um zu warten, bis mein bereits gebuchter (und fixierter) Rückflug Palermo verlässt.
Das Flugzeug ist komplett ausgebucht. Erst als wir in Palermo aus dem Flugzeug steigen, entdecke ich, dass ich mit der gesamten lampedusianischen Fußballmannschaft geflogen bin! Sie haben hier in Sicilly ein Spiel am selben Tag. Ich mache ein paar Aufnahmen – kleine Sterne, niemand liebt es mehr zu posieren……
„Das ist die südeuropäischste Fußballmannschaft, sogar Malta ist nördlicher…“, sagt der Präsident des Vereins (3. von links auf dem obigen Foto).
Im Zug nach Palermo sitzen – der Flughafen liegt am Stadtrand von Punta Raiis, 45 Minuten vom Zentrum entfernt – ich denke, wie albern, ich hätte sie bitten können, mitzumachen – als Unterstützer, das wäre toll gewesen, die Jungs zu filmen…. sie wären ausgeflippt, schätze ich….
Wie auch immer…. Ich habe es nicht getan, hatte nicht den Mut zu fragen und war nicht entschlossen, sondern schwankte. Am Bahnhof kaufe ich eine Karte von Sizilien und frage den Ladenbesitzer, was der beste Weg zum Ätna ist…. – 5 Minuten später bin ich im Bus nach Catania. Kauf der Tickets…: Der Automaten für den Zug hat keine Notiz genommen, also sagte der Betreuer freundlich, kommen Sie rein…. am Busbahnhof ist der Preis für Palermo-Katania 13,90 Ich bezahle mit einer 50€-Note und der Kassierer versuchte so clever wie möglich, so wenig Kleingeld wie möglich zu geben – zuerst nur eine 10 Cent Münze, dann eine 20€-Note und einen Zehner – zögern, etwas mehr zu erfinden…. ich..: nicht weglaufen und zählen, was ich habe…. oh…. hier kommen noch ein paar Münzen… (insgesamt 6€!).) – also fährt auch der Bus in einer Sekunde ab: nicht hetzen, sondern nachzählen.
In Catania am Bahnhof werde ich von einem Polizisten mit dem Hitlergruß empfangen, der nach der Gepäckaufbewahrung und einem Fahrradverleih fragt…. macht mich krank. Wirklich erstaunt und enttäuscht, mich nicht lachen zu sehen – er kennt einen Ort, an dem man ein Fahrrad mieten kann. Ich deponiere den größten Teil meines Gepäcks und bewahre meine Kameras, Laptop, Regen- und Rettungsweste, Essen…. in meinem Rucksack auf. Die Fahrräder zum Mieten sind die billigsten – mit kaputten Kunststoffpedalen und schweren Stahlrahmen… wirklich schlecht – aber ich mache es – 100€ Kaution, 20€ Miete für zwei Tage. Stinkender Verkehr, obwohl es Sonntag ist, Ätna…. los geht’s! Keine Beschilderung – nach ein bis zwei Kilometern wird die Straße supersteil; ich lande in einer Sackgasse, ein Fußweg durch Gestrüpp und Brachland rettet mich vor dem Abstieg…. Meine Beine sind in Ordnung, schwitzen wie verrückt, meine ¾ Hose lässt die Sonne meine Sonne brennen…..
Schäfte……
Lukas Einsele: Fahrradkuriere Kabul / Afghanistan, 11.11.2001 Foto: Lukas Einsele / Andreas Zierhut
die welt sollte zunächst so bleiben, wie sie ist
6. Juni – 24. August 2008 Eröffnung 6. Juni 2008, 19 Uhr
Lukas Einsele – Thomas Erdelmeier – Thomas Kilpper Die hier versammelten Künstler prägt ein gesellschaftspolitisches Bewusstsein, das auf unterschiedliche Weise in ihren künstlerischen Arbeiten und Projekten Niederschlag findet. Der Schaffensprozess wird zur steten Auseinandersetzung mit Herkunft und Zusammenhängen des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems sowie mit der Frage, welche Rolle dem Individuum hierbei zukommen kann bzw. zugeteilt wird. Wo finden sich Handlungsspielräume, um Gesellschaft, Politik und Staat (mit)zugestalten. An welchen Stellen hört die zivilisatorische Realität auf, zivil zu sein? In welchem Maße konstruieren Herkunft, Gesellschaft und Ökonomie das einzelne Subjekt und bedingen unsere Kommunikationsformen. Mit sehr verschiedenen Mitteln deuten Lukas Einsele, Thomas Erdelmeier und Thomas Kilpper die Widersprüche einer in vielen Bereichen auf Übersichtlichkeit, Überregulierung und auch paradoxen Moral drängenden Gesellschaftsordnung an. Gesellschaftliche Wirklichkeit wird zum Fundus, von dem aus augenfällige Fragen verhandelt werden und aus dem sich ebenso kritisch wie lustvoll schöpfen lässt. Insofern ließe sich der Titel der Ausstellung „Die Welt sollte zunächst so bleiben, wie sie ist“ genauso als Frage formulieren oder auch als Umkehrung.
Lukas Einsele (geboren 1963, lebt in Darmstadt) zeigt in der Ausstellung neben einer neuen Arbeit sein Projekt „One step beyond – Wiederbegegnung mit der Mine“ (OSB). Es berichtet auf verschiedenen Ebenen über Opfer von Landminen und bringt Opfer und Mine in ein sichtbares Verhältnis: Lukas Einsele reiste in stark verminte Länder wie Angola, Afghanistan oder Bosnien-Herzegowina und bat Menschen, die von einer Landmine verwundet wurden, sich an den Hergang des Unglücks zu erinnern und ihm davon zu erzählen. Im Anschluss fertigte Einsele Schwarzweiß-Porträts der Erzählenden mit einer Großbildkamera. Mit Hilfe der Berichte sowie weiterer Recherchen zu Militär- und Minenkarten und Minenräumungen, konnte er Rückschlüsse auf den möglichen Minentyp schließen, der den „Unfall“ verursachte. Während der Aufenthalte griff Lukas Einsele weitere Themen fotografisch auf, die um den vielschichtigen wie monströsen Komplex kreisen: Minenräumungen, Minenaufklärung, Rehabilitation. Ausgangspunkt und zentraler Aspekt dieses Projekts ist das Erinnern als aktiver, Bilder generierender Prozess. Für die zahlreichen Institutionen im In- und Ausland, in denen OSB seit 2001 gezeigt wurde, erarbeitet Lukas Einsele auf den jeweiligen Ausstellungsort abgestimmte Präsentationsformen, die sich stets zu einem subtilen und ebenso eindringlichen Bild über dieses dunkle Kapitel fügen. In der Kunsthalle Mainz entsteht ein kleiner Raum im Raum, der jenem Grundriss entspricht, an dem „One step beyond“ erstmals zu sehen war. Der nachgebildete Raum sowie eine Auswahl der Schwarzweiß-Porträts der Erzählenden korrespondiert mit einer neuen Videoarbeit des Künstlers, in der vier Musiker ein klassisches Musikstück memorieren. Der Betrachter wohnt hier einer stillen und zugleich höchst aufgeladenen Aufführung ohne Instrumente bei.
Thomas Erdelmeier Ausflug, 1999
Die Zeichnungen, die Malerei und die architekturartigen Modelle von Thomas Erdelmeier (geboren 1969, lebt in Frankfurt/Main) sind geprägt von einem ausgesprochenen Gespür für Räumlichkeit. Die Plastizität, die extremen Perspektiven und die stürzenden Fluchtlinien erscheinen wie der Reflex auf eine immer flacher werdende Bildschirmwahrnehmung und zugleich als Spiegel eines immer komplexer werdenden Gesellschaftssystems, in dem das Subjekt seinen Platz zu finden und Nachteile zu vermeiden versucht. Die oft wandgroßen Zeichnungen, einige von ihnen als Sprach- und Texträume angelegt, verschmelzen unterschiedliche zeichnerische Sprachen und Erzählstile. Viele verschiedene Elemente und Aussagen sind wie bei einem Gespinst miteinander verwoben und lassen Momente von Pessimismus wie auch der Zuversicht gleichermaßen aufblitzen. In der Ausstellung ist eine Auswahl von neuen, seit 2007 entstandenen Malereien zu sehen. Sie verlassen weitgehend die Textebene, aber nicht das vielschichtige Erzählen. Auch in den Malereien kommt der virtuose, stets aus dem Vollen schöpfende Zeichner zum Tragen. Die Bilddynamik bildet immer auch ein energetisches Feld, in dem sich der Künstler kritisch konstatierend und gleichsam lustvoll der ihn umtreibenden Fragen annimmt. Gelingende und ausnutzerische Formen menschlicher Kommunikation, die Frage nach Teilhabe an Privilegien sowie Überlegungen zur religiösen Herkunft unseres heutigen Wirtschaftsystems und die daraus resultierenden Subjektkonstruktionen sind wiederkehrende Themen.
Thomas Kilpper ohne Titel (Nest), 2008
Die oft monumentalen und äußerst aufwändigen Projekte von Thomas Kilpper (geboren 1956, lebt in Berlin) haben meist zwei Ausgangspunkte. Ausgehend von biografischen Stationen schwingt im künstlerischen Schaffen von Thomas Kilpper stets die bisweilen direkte Auseinandersetzung mit politischen Gegebenheiten mit. Der konkrete Wunsch und das Bestehen auf Gestaltung und Mitbestimmung sowie auf dem Verändern von Missverhältnissen der Gesellschaft bilden das Themenspektrum des Künstlers. Hierbei stehen Überlegungen im Raum, inwieweit soziale oder politische Fragen im Rahmen von Kunst verhandelbar sind. Dass es gelingen kann, zeigt z. B. das Projekt „Drowning Hercules“ (2001): In einem ausgedienten Schwimmbecken schuf der Künstler aus sämtlichen Holzteilen, die er im übrigen Gebäude herausschlagen konnte (Einbauschränke, Türen etc.), einen zehn Meter hohen Baum. Dieser wurde zerstört mit dem Abriss des Gebäudes. Für kurze Zeit besetzte Thomas Kilpper den Ort, eignete ihn sich an und führte die zerstörten Holzteile als skulpturales Bild in ihren Ursprung als Baum zurück. Das Besetzen von Orten und der Umgang mit ihrer Geschichte ist ein weiterer wesentlicher Aspekt in Kilppers Arbeiten. Für die Kunsthalle Mainz entsteht eine raumgreifende Installation aus etwa 20 Zeichnungen, die als eine Art Parcours mit dem Gesicht nach unten über dem Boden schweben und so die Betrachtung buchstäblich auf den Kopf stellen. Die Zeichnungen sind als biografische Zeitreise angelegt, die zugleich prägende gesellschaftspolitische Ereignisse vergegenwärtigt. Eine weitere Installation, bestehend aus einer hinfälligen und zugleich Raum einnehmenden Wand, spielt mit der Dekonstruktion der Eleganz des eigentlichen Ausstellungsraumes und seiner auf konzentrierte Kunstbetrachtung ausgerichteten Architektur.
Konzept für ein Kunstprojekt in dem Gebäude Normannenstraße 19 in Berlin Lichtenberg, ehemaliges Ministerium für Staatssicherheit der DDR
In der Normannenstraße 19 entsteht ein überdimensionaler „Linolschnitt“ im Fußbodenbelag des Gebäudes; zwei große Säle mit über 800 m2 PVC-Bodenbelag bilden dafür das Ausgangsmaterial. Ich schneide direkt in die vorgefundene Substanz dieses aufgeladenen Ortes und schreibe mich mit Bildern und Worten in ihn ein. Ich breche den Widerstand seines Materials: das Gebäude bzw. sein Boden wird in einen riesigen Stempel transformiert. Ein zeitgeschichtlich umstrittener und seit Jahren verlassener Ort wird wieder belebt, neu besetzt und neu definiert. Nach der Produktion des Linolschnitts wird dieser auf 3 Meter breite Stoffbahnen gedruckt und vernäht. Anschließend wird der Ort und die künstlerische Intervention der Öffentlichkeit mit einer Ausstellung zugänglich gemacht. Die sechswöchige Ausstellung in der Normannenstraße bietet die Möglichkeit, an der Außenfassade den Gesamtabdruck (ca. 18 Meter hoch und 30 Meter breit) und im Inneren des Gebäudes zahlreiche einzelne Drucke sowie die gesamte Bodenarbeit zu präsentieren. Hier können Besucher über das Kunstwerk – den Druckstock – gehen, die Druckergebnisse hängen von der Decke und an den Wänden. Der Betrachter befindet und bewegt sich zwischen „positiv“ und „negativ“ – die Bodenarbeit und ihre Abzüge werden zur Installation. Es ist von besonderer Bedeutung, den Boden für diesen Eingriff zu nutzen, weil er im wahrsten Sinn des Wortes „fundamental“ und Ausgangsbasis für alle unsere Aktivitäten ist. Wichtige Ereignisse, Zusammenstöße, Geschichte – alles schreibt sich hier sedimentartig ein – der Boden ist Bedeutungsträger, in den man sich eingraben muss, will man fündig werden. Der Prozess der Annäherung und des Arbeitens mit dem Bodenmaterial versinnbildlicht für mich den Umgang mit der Stasi – ein offener Prozess, um die Ablagerungen und Sedimente freizulegen.
Inhaltliche Bestimmung und Hintergrund
Verlassene, funktionslose Gebäude als künstlerisches Ausgangsmaterial finden seit vielen Jahren mein Interesse: Zum einen, um mir jenseits des institutionellen Kunstbetriebs den „toten“ Raum anzueignen und zu besetzen und damit neue Spiel- und Wirkungsräume für die Kunst zu öffnen. Zum anderen ist es die gesellschaftspolitische Dimension: Das Phänomen „Leerstand“ in den urbanen Ballungszentren ist die Folge eines zunehmend von Spekulation und Gewinnmaximierung bestimmten Immobilienmarktes. Die Intervention in diese brachliegende Ressource hat daher auch eine gesellschaftliche Dimension und Bedeutung. Indem ich Bezüge herstelle zur sozialen Funktion und Geschichte des Ortes, können meine Eingriffe durchaus verglichen werden mit dem Versuch, vergessene Erinnerung mittels Psychoanalyse zu reaktivieren.
Das seit ca. 10 Jahren leerstehende Gebäude Normannenstraße 19 in Berlin Lichtenberg war Teil des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Hier gab es für die Bediensteten und Agenten neben Einkaufsmöglichkeiten in Intershops ein Kino, Kantine und Festsaal. Wenige Wochen nach Maueröffnung und „Wende“ wurde das Gebäude im Januar 1990 von zahlreichen BürgerInnen der ehemaligen DDR besetzt und nach Akten durchsucht. Kaum ein Ort in Berlin wurde heftiger abgelehnt, ja gehasst als dieser. Die diesem Ort eingeschriebene Thematik von Überwachen und Strafen ist inhaltlicher Ausgangs- und Referenzpunkt meiner Intervention. Es geht sowohl um eine kritische Auseinandersetzung mit der ehemaligen Staatssicherheit der DDR, als auch um eine geschichtliche Rückschau auf verschiedene staatliche Konzepte von Überwachung und Repression – vom mittelalterlichen Pranger über den NS-Blockwart, Rasterfahndung bis zur digitalen Gegenwart, Personen aus dem Weltall via GPS und Mobiltelefone zu orten. „Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Lauschangriff, staatlicher Zugriff auf Bankkonten, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, geheime Durchsuchung privater Computer, zentrale Speicherung digitalisierter Fingerabdrücke, Militäreinsatz im Inneren, Abschuss von entführten Zivilflugzeugen …“ (Heribert Prantl, in Der Terrorist als Gesetzgeber, Wie man mit Angst Politik macht. Verlag Droemer Knaur 2008) – in diese Richtung gehen ständig neue Vorstöße, die von der Politik unter dem Stichwort „Kampf gegen den Internationalen Terrorismus“ auf den Weg gebracht werden. Sie werfen immer wieder die Frage auf nach dem Verhältnis zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten auf der einen und staatlicher Kontrolle auf der anderen Seite. Dieses Verhältnis wird zunehmend verschoben zu Lasten der Freiheiten und zu Gunsten des staatlicher Überwachung. Diese Entwicklung und ihre impliziten Widersprüche werden in dem Projekt im Sinne eines emanzipatorischen Diskurses und einer zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung Freiheitsrechte vs. Staatsmacht – Datenschutz vs. Sicherheit zur Diskussion gestellt. Auch wenn problematische Tendenzen zu überzogener Überwachung zu beobachten sind, so gibt es doch gleichzeitig vielfältige Initiativen, diese obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen zu unterwandern und in Frage zu stellen. Auch diese Impulse von Resistenz sollen in die Arbeit einfließen. Darüber hinaus lotet das Projekt aus, inwieweit Kunst – in Zeiten einer dominanten Marktorientierung – in der Lage ist, universelle Inhalte wie die Idee von „Freiheit“ als einen aktuellen gesellschaftlichen Lebensentwurf zu vermitteln und zu transportieren.
Förderung
Dieses arbeitsintensive und vielschichtige Projekt benötigt eine substantielle finanzielle Förderung, um realisiert werden zu können. Es hat das Potential, in und über Berlin hinaus als ein wichtiges Kunstprojekt wahrgenommen zu werden und eine gesellschaftliche Debatte in der breiten Öffentlichkeit anzustoßen.
Eröffnung: Donnerstag, 24.5.2007, ab 19 Uhr Ausstellung vom 25.5. bis 24.6.2007
Öffnungszeiten: Do/Fr 17 bis 22 Uhr, Sa/So 14 bis 18 Uhr
Kunstraum Düsseldorf Himmelgeister Straße 107E, Eingang Ulenbergstraße 40200 Düsseldorf Tel. 0049-(0)211-8924193 oder | or 0049-(0)211-330237 www.duesseldorf.de/kunstraum
Bahn | Tram: 706, 723 Bus: 827, 835, 836
Mit freundlicher Unterstützung Lampei v.d. Sande GbR, Entrümpelungen
Der Berliner Künstler Thomas Kilpper lebte von 1979 bis 1992 in Düsseldorf. 1979 kam er von Nürnberg an die Düsseldorfer Akademie in die Hueppi-Klasse. Mit diesem Wechsel war die Hoffnung auf ein Arbeiten in einem aufgeschlosseneren künstlerischen Klima verbunden. Die damals aktuellen politischen Realitäten: Atomkraftwerke, WAA, Militärputsch Türkei, Apartheid… und insbesondere die akuter werdene Möglichkeit und Gefahr eines atomaren Krieges in Europa veranlassten Kilpper allerdings bald, sich zunehmend der direkten politischen Auseinandersetzung zuzuwenden.
Für seine Ausstellung „von der fettecke zur revolution“ im Kunstraum Düsseldorf fertigte der Künstler eine raumgreifende Installation, in der er die Entwicklung dieser Jahre erinnert und fragmentarisch nachzeichnet. Dabei greift er zurück auf Material, das über acht Jahre durch seine Hände ging, als er seinen Lebensunterhalt mit Entrümpelungen und Umzügen verdiente.
Jetzt hat Kilpper hunderte alter Sperrmüll-Möbel verarbeitet, dekonstruiert, zusammenbaut, auseinandergeschlagen, erneut vernagelt und dann angeordnet zu einem methaphorischen Labyrinth. Hier äußert sich sowohl sublimierte Wut gegen die herrschenden Verhältnisse als auch die Realisierung eines ästhetischen Umbruchs, hier artikuliert sich ein muffelig-ironischer Entwurf sozialer Innenarchitektur als anti-IKEA.
in Auftrag gegeben und ausgestellt bei Momentum , Festival für zeitgenössische kunst, Moos bei Oslo, Norwegen September-Oktober 2006
„Die Arbeit, die Endre Aalrust und Thomas Kilpper für Momentum gemacht haben…. grenzt an Satire. Die Künstler haben sich das Elefantenlogo der Papierfabrik an der Grenze zur Brauerei Moss (zentraler Veranstaltungsort von Momentum) angeeignet und es mit einer Allegorie auf die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Stadt eingesetzt….“. Mark Sladen, Co-Kurator von Momentum 2006
Die Pump House Gallery freut sich, Sie zur Vernissage einzuladen:
PIGISBACK
Thomas Kilpper
Freitag, 29. September: 18.30 – 21.00 Uhr
(ein Bio-Grill wird serviert)
Messetermine: 30. September – 29. Oktober 2006
Pump House Gallery freut sich, gemeinsam mit dem deutschen Künstler Thomas Kilpper ein ambitioniertes ortsspezifisches Projekt innerhalb und außerhalb der Galerie zu entwickeln. Dies wird der erste bedeutende Auftrag des Künstlers in London seit 2001 sein. Kilppers Projekte reagieren oft auf den gesellschaftspolitischen Kontext eines Ortes und verflechten spielerisch lokale Geschichten, aktuelle globale Themen und seine politischen Ansichten. Für dieses Projekt hat er sich intensiv mit der reichen und komplexen Geschichte des Battersea Park und seiner Umgebung beschäftigt. Insbesondere hat er die Zeit untersucht, in der der Park während des Zweiten Weltkriegs in eine Schweinefarm und Kleingärten umgewandelt wurde, sowie die vielfältige und ungewöhnliche Nutzung des Battersea-Kraftwerks. Dazu gehört auch die Bezugnahme auf das Fotoshooting für das ikonische Cover von Pink Floyds ‚Animals‘ LP, an dem ein riesiges aufblasbares Schwein beteiligt war. Durch die Erforschung dieser Episoden macht sich Kilpper Gedanken über die aktuelle Situation im Irak.
Die Ergebnisse dieses Projekts sind vielfältig und umfassen die Umwandlung des Außenbereichs der Galerie in ein Kontingent an biologischem Gemüse, das vom Wandsworth Youth Offending Team geschaffen und betreut wird, eine Küche in der Galerie, um die daraus resultierende Ernte zu kochen, und eine riesige Schweineskulptur, die aus Bäumen besteht, die im Battersea Park gefällt wurden. Kilpper hat auch eine Reihe von spannenden Kooperationen mit anderen Künstlern vereinbart. Er hat mit Lukas Einsele zusammengearbeitet, um eine Reihe von Fotoarbeiten zu schaffen, Alexander Wolff, um einen neuen Soundtrack zu produzieren, der Pink Floyd mit den beliebten Kriegsliedern der 1940er Jahre verschmilzt, und Endre Aalrust, der einen Film mit Filmmaterial aus Monty Pythons ‚The Meaning of Life‘ und Alfred Hitchcocks ‚Sabotage‘ dreht.
Thomas Kilpper wurde 1956 in Deutschland geboren und hat für seine dynamische und erfinderische Praxis internationale Anerkennung erhalten. Er hat eine Reihe wichtiger Projekte im In- und Ausland entwickelt, darunter The Ring, Orbit House, London 2000 in Zusammenarbeit mit der South London Gallery; Al Hissan, The Jenin Horse, Jenin, Palestine 2003; Ulrike Meinhof, Berlin 2004; Agenda 2010, Berlin 2005 und wurde beauftragt, für Momentum 2006 ein neues Werk zu schaffen: Nordisches Festival für zeitgenössische Kunst.
Ausstellung mit Unterstützung der Henry Moore Foundation, des Arts Council England, Patrick Heide Art Projects, des Goethe-Instituts Battersea Crime Prevention Panel, des Wandsworth Youth Offending Team, Thrive and MFI Kitchens.
Öffnen: Mittwoch – Sonntag 11.00 – 17.00 Uhr
Geschlossen Mo. & Di. Zulassung kostenlos
Pump House Gallery, Battersea Park, London SW11 4NJ. T: 020 7350 0523
pumphouse@wandsworth.gov.uk
www.wandsworth.gov.uk/gallery
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Die Pump House Gallery freut sich, Sie zur Vernissage einzuladen:
PIGISBACK
Thomas Kilpper
Freitag, 29. September: 18.30 – 21.00 Uhr
(ein Bio-Grill wird serviert)
Messetermine: 30. September – 29. Oktober 2006
Pump House Gallery freut sich, gemeinsam mit dem deutschen Künstler Thomas Kilpper ein ambitioniertes ortsspezifisches Projekt innerhalb und außerhalb der Galerie zu entwickeln. Dies wird der erste bedeutende Auftrag des Künstlers in London seit 2001 sein. Kilppers Projekte reagieren oft auf den gesellschaftspolitischen Kontext eines Ortes und verflechten spielerisch lokale Geschichten, aktuelle globale Themen und seine politischen Ansichten. Für dieses Projekt hat er sich intensiv mit der reichen und komplexen Geschichte des Battersea Park und seiner Umgebung beschäftigt. Insbesondere hat er die Zeit untersucht, in der der Park während des Zweiten Weltkriegs in eine Schweinefarm und Kleingärten umgewandelt wurde, sowie die vielfältige und ungewöhnliche Nutzung des Battersea-Kraftwerks. Dazu gehört auch die Bezugnahme auf das Fotoshooting für das ikonische Cover von Pink Floyds ‚Animals‘ LP, an dem ein riesiges aufblasbares Schwein beteiligt war. Durch die Erforschung dieser Episoden macht sich Kilpper Gedanken über die aktuelle Situation im Irak.
Die Ergebnisse dieses Projekts sind vielfältig und umfassen die Umwandlung des Außenbereichs der Galerie in ein Kontingent an biologischem Gemüse, das vom Wandsworth Youth Offending Team geschaffen und betreut wird, eine Küche in der Galerie, um die daraus resultierende Ernte zu kochen, und eine riesige Schweineskulptur, die aus Bäumen besteht, die im Battersea Park gefällt wurden. Kilpper hat auch eine Reihe von spannenden Kooperationen mit anderen Künstlern vereinbart. Er hat mit Lukas Einsele zusammengearbeitet, um eine Reihe von Fotoarbeiten zu schaffen, Alexander Wolff, um einen neuen Soundtrack zu produzieren, der Pink Floyd mit den beliebten Kriegsliedern der 1940er Jahre verschmilzt, und Endre Aalrust, der einen Film mit Filmmaterial aus Monty Pythons ‚The Meaning of Life‘ und Alfred Hitchcocks ‚Sabotage‘ dreht.
Thomas Kilpper wurde 1956 in Deutschland geboren und hat für seine dynamische und erfinderische Praxis internationale Anerkennung erhalten. Er hat eine Reihe wichtiger Projekte im In- und Ausland entwickelt, darunter The Ring, Orbit House, London 2000 in Zusammenarbeit mit der South London Gallery; Al Hissan, The Jenin Horse, Jenin, Palestine 2003; Ulrike Meinhof, Berlin 2004; Agenda 2010, Berlin 2005 und wurde beauftragt, für Momentum 2006 ein neues Werk zu schaffen: Nordisches Festival für zeitgenössische Kunst.
Ausstellung mit Unterstützung der Henry Moore Foundation, des Arts Council England, Patrick Heide Art Projects, des Goethe-Instituts Battersea Crime Prevention Panel, des Wandsworth Youth Offending Team, Thrive and MFI Kitchens.
Thomas Kilpper in der Galerie wildwechsel http://www.wolfstaedter.de/ Rotlintstr. 98, 60389 Frankfurt Tel. 069-738416 Fahrradladen
Vernissage: 4. November 2005 19.00 Uhr Ausstellung: 5. November – 25. November 2005 Öffnungszeiten: Mi. Do. Fr. 16.00 – 19.00 Uhr u.n.V
Auf fast allen Wegen, die ein Künstler begehen kann,
wählt der in Berlin lebende Thomas Kilpper den schwierigsten. In seiner
Arbeit schreckt er einerseits nicht zurück vor grossen bis monumentalen
Formaten und komplexen Inhalten. Andererseits entwickelt er eine
erstaunliche Vielfalt und Liebe zum Detail, geht in die Tiefe.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Kilpper durch seine
großformatigen Holzschnitt-Projekte von 1998 bis 2000 in leerstehenden
Gebäuden bei Frankfurt und in London.
Hier arbeitete er sich regelrecht ab: am Widerstand des
Parkettbodens und an dessen teils komischer, teils belasteter
Geschichte. Bei Frankfurt war es ein ehemaliges Nazi-Militärlager, das
nach dem Krieg zum Ort zahlreicher Verhöre und Übungseinsätze der
US-Armee wurde und wo kaum 2 Jahre nach Kriegsende mit Hilfe der CIA der
Vorläufer des deutschen Auslands Geheimdienst, BND, die sog.
„Organisation Gehlen“ aus der Taufe gehoben wurde. Erstaunlicherweise
geschah dies unter derselben Führung, die zuvor den Nazi-Geheimdienst
„Fremde Heere Ost“ stellte: Reinhard Gehlen.
In London war es ein Ort an dem im 18.Jahrhundert ein
oktagonales Gotteshaus errichtet wurde, das knapp hundert Jahre später
radikal umgenutzt wurde: die Kanzel wurde ersetzt durch einen Box-Ring,
in dem 30 Jahre bedeutende und populäre Boxkämpfe stattfanden – bis
während des 2. Weltkriegs Hitlers Luftwaffe das Gebäude in Schutt und
Asche legte. Orbit House, das nach dem Krieg an selber Stelle errichtet
wurde, diente zunächst der Britischen Armee als geheimer Ort ihrer
Druckwerkstatt, bis die Orientabteilung der British Library hier einzog
und unter anderem just in diesem Ort den ältesten bekannten Holzschnitt
der Welt aufbewahrte, den „Diamond Sutra“ aus China.
Kilpper geht in Archive, befragt Anwohner oder ehemalige
Angestellte… dann rückt er an: „mit schwerem Gerät werden dem glatten
Holzboden die Gespenster der eigenen Vergangenheit eingeritzt, -gesägt,
-gefräst, -geschnitten, -gehackt, -gestemmt. Später wird die
aufgekratzte Landschaft wundartistisch versorgt. Mit Farbe, Papier und
Stoffen werden die Drucke abgenommen.“ (Else Gabriel über Thomas
Kilpper)
Auf Einladung des Goethe-Instituts reiste Kilpper 2003 in die
besetzten Gebiete Palästinas und baute gemeinsam mit palästinensischen
Jugendlichen aus Metall zerstörter Häuser und Autos eine überlebensgroße
Pferd-Skulptur. Im Arabischen Raum ist das Pferd Symbol für Freiheit
und genießt ungemein große Popularität.
Gegen ständig wiederkehrende Ausgangssperren, Kontrollen,
Panzer- und Luftwaffeneinsätze war dieses Projekt der Versuch, wieder
Spiel- und Bewegungsräume im Öffentlichen Raum zu eröffnen. Nach seiner
Fertigstellung wurde das Pferd gemeinsam mit einigen
Workshop-Teilnehmern – trotz aller Warnungen – erfolgreich von
Checkpoint zu Checkpoint durch die gesamte Westbank bis nach Ramallah,
zu Arafats zerstörtem Regierungssitz gezogen. Wie durch ein Wunder
öffnete das Pferd für einen kurzen Augenblick fast sämtliche sonst
verschlossenen Tore. „Man muß den Film sehen, den Thomas Kilpper darüber
gemacht hat… Die geschilderten Einzelheiten ganz alltäglichen
Lebens stecken voll absurder Hindernisse, handeln auch von großer
Gastfreundschaft, und vom Eingerichtetsein in Provisorien ebenso wie in
Feindseligkeiten….“(Else Gabriel)
Für die Galerie Wildwechsel in Frankfurt hat Thomas Kilpper eine neue Installation – Fahrradladen – vorgesehen.
Es werden sowohl Fahrräder zum Kauf angeboten – als auch defekte
Räder zur Reparatur angenommen. Der Galerist und Kunsthändler wird zum
Fahrad-Verkäufer und Fahrrad-Mechaniker – der Galeriebesucher
möglicherweise zum Fahrrad Käufer oder Kunde einer Fahrrad Reparatur.
Kilpper will sowohl Funktion und Identität des Ortes als auch
die soziale Stellung seiner Protagonisten befragen – und gleichzeitig
anregen zu einer Form ökologisch sinnvoller Mobilität. Die während der
Ausstellung verkauften Räder werden vom Künstler signiert.
Die beiden Künstler Michael Dreher (Frankfurt/Main) und Thomas Kilpper
(Berlin) haben für den Berliner Austellungsraum „Fleisch“ auf der
Karl-Marx-Allee ihre Installation Agenda 2010 entwickelt, in der die
Dringlichkeit einer grundsätzlichen Neuerung der verschiedenen
Gesellschaftsmodelle Thema und Ausgangspunkt sind. Auf der einen Seite steht Karl Marx, als einer der historischen Grundlagen-Stifter der Kommunistischen Idee.
Auf der anderen Seite steht das Geld – Motor für Profit und
Mittelpunkt der kapitalistischen Gesellschaft, hier in Form der drei
mächtigsten westlichen Währungen Yen, Euro und Dollar. Beide Seiten
werden spezifischen natürlichen Attacken und ‚Grundbedürfnissen der
Basis‘ ausgesetzt. Es bleibt zu untersuchen, ob und in welcher Verfassung die Kontrahenten dieses Spiel überleben werden. Agenda 2010 ist ein sechswöchiges ‚work in progress‘, das bis 13. März rund um die Uhr zu sehen und zu beobachten sein wird.