Konzept für ein Kunstprojekt in dem Gebäude Normannenstraße 19 in Berlin Lichtenberg, ehemaliges Ministerium für Staatssicherheit der DDR
In der Normannenstraße 19 entsteht ein überdimensionaler „Linolschnitt“ im Fußbodenbelag des Gebäudes; zwei große Säle mit über 800 m2 PVC-Bodenbelag bilden dafür das Ausgangsmaterial.
Ich schneide direkt in die vorgefundene Substanz dieses aufgeladenen Ortes und schreibe mich mit Bildern und Worten in ihn ein. Ich breche den Widerstand seines Materials: das Gebäude bzw. sein Boden wird in einen riesigen Stempel transformiert. Ein zeitgeschichtlich umstrittener und seit Jahren verlassener Ort wird wieder belebt, neu besetzt und neu definiert.
Nach der Produktion des Linolschnitts wird dieser auf 3 Meter breite Stoffbahnen gedruckt und vernäht. Anschließend wird der Ort und die künstlerische Intervention der Öffentlichkeit mit einer Ausstellung zugänglich gemacht.
Die sechswöchige Ausstellung in der Normannenstraße bietet die Möglichkeit, an der Außenfassade den Gesamtabdruck (ca. 18 Meter hoch und 30 Meter breit) und im Inneren des Gebäudes zahlreiche einzelne Drucke sowie die gesamte Bodenarbeit zu präsentieren. Hier können Besucher über das Kunstwerk – den Druckstock – gehen, die Druckergebnisse hängen von der Decke und an den Wänden. Der Betrachter befindet und bewegt sich zwischen „positiv“ und „negativ“ – die Bodenarbeit und ihre Abzüge werden zur Installation.
Es ist von besonderer Bedeutung, den Boden für diesen Eingriff zu nutzen, weil er im wahrsten Sinn des Wortes „fundamental“ und Ausgangsbasis für alle unsere Aktivitäten ist. Wichtige Ereignisse, Zusammenstöße, Geschichte – alles schreibt sich hier sedimentartig ein – der Boden ist Bedeutungsträger, in den man sich eingraben muss, will man fündig werden.
Der Prozess der Annäherung und des Arbeitens mit dem Bodenmaterial versinnbildlicht für mich den Umgang mit der Stasi – ein offener Prozess, um die Ablagerungen und Sedimente freizulegen.
Inhaltliche Bestimmung und Hintergrund
Verlassene, funktionslose Gebäude als künstlerisches Ausgangsmaterial finden seit vielen Jahren mein Interesse: Zum einen, um mir jenseits des institutionellen Kunstbetriebs den „toten“ Raum anzueignen und zu besetzen und damit neue Spiel- und Wirkungsräume für die Kunst zu öffnen. Zum anderen ist es die gesellschaftspolitische Dimension: Das Phänomen „Leerstand“ in den urbanen Ballungszentren ist die Folge eines zunehmend von Spekulation und Gewinnmaximierung bestimmten Immobilienmarktes. Die Intervention in diese brachliegende Ressource hat daher auch eine gesellschaftliche Dimension und Bedeutung. Indem ich Bezüge herstelle zur sozialen Funktion und Geschichte des Ortes, können meine Eingriffe durchaus verglichen werden mit dem Versuch, vergessene Erinnerung mittels Psychoanalyse zu reaktivieren.
Das seit ca. 10 Jahren leerstehende Gebäude Normannenstraße 19 in Berlin Lichtenberg war Teil des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Hier gab es für die Bediensteten und Agenten neben Einkaufsmöglichkeiten in Intershops ein Kino, Kantine und Festsaal. Wenige Wochen nach Maueröffnung und „Wende“ wurde das Gebäude im Januar 1990 von zahlreichen BürgerInnen der ehemaligen DDR besetzt und nach Akten durchsucht. Kaum ein Ort in Berlin wurde heftiger abgelehnt, ja gehasst als dieser.
Die diesem Ort eingeschriebene Thematik von Überwachen und Strafen ist inhaltlicher Ausgangs- und Referenzpunkt meiner Intervention.
Es geht sowohl um eine kritische Auseinandersetzung mit der ehemaligen Staatssicherheit der DDR, als auch um eine geschichtliche Rückschau auf verschiedene staatliche Konzepte von Überwachung und Repression – vom mittelalterlichen Pranger über den NS-Blockwart, Rasterfahndung bis zur digitalen Gegenwart, Personen aus dem Weltall via GPS und Mobiltelefone zu orten.
„Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Lauschangriff, staatlicher Zugriff auf Bankkonten, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, geheime Durchsuchung
privater Computer, zentrale Speicherung digitalisierter Fingerabdrücke, Militäreinsatz im Inneren, Abschuss von entführten Zivilflugzeugen …“ (Heribert Prantl, in Der Terrorist als Gesetzgeber, Wie man mit Angst Politik macht. Verlag Droemer Knaur 2008) – in diese Richtung gehen ständig neue Vorstöße, die von der Politik unter dem Stichwort „Kampf gegen den Internationalen Terrorismus“ auf den Weg gebracht werden. Sie werfen immer wieder die Frage auf nach dem Verhältnis zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten auf der einen und staatlicher Kontrolle auf der anderen Seite. Dieses Verhältnis wird zunehmend verschoben zu Lasten der Freiheiten und zu Gunsten des staatlicher Überwachung. Diese Entwicklung und ihre impliziten Widersprüche werden in dem Projekt im Sinne eines emanzipatorischen Diskurses und einer zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung Freiheitsrechte vs. Staatsmacht – Datenschutz vs. Sicherheit zur Diskussion gestellt.
Auch wenn problematische Tendenzen zu überzogener Überwachung zu beobachten sind, so gibt es doch gleichzeitig vielfältige Initiativen, diese obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen zu unterwandern und in Frage zu stellen. Auch diese Impulse von Resistenz sollen in die Arbeit einfließen.
Darüber hinaus lotet das Projekt aus, inwieweit Kunst – in Zeiten einer dominanten Marktorientierung – in der Lage ist, universelle Inhalte wie die Idee von „Freiheit“ als einen aktuellen gesellschaftlichen Lebensentwurf zu vermitteln und zu transportieren.
Förderung
Dieses arbeitsintensive und vielschichtige Projekt benötigt eine substantielle finanzielle Förderung, um realisiert werden zu können. Es hat das Potential, in und über Berlin hinaus als ein wichtiges Kunstprojekt wahrgenommen zu werden und eine gesellschaftliche Debatte in der breiten Öffentlichkeit anzustoßen.
Thomas Kilpper
Berlin, im April 2008